„Bin gleich da. Hast Du das Formular rausgesucht?“
Wie lesen Sie diese Nachricht? Als freundliche Mitteilung, dass ich auf dem Weg bin? Vielleicht etwas zu spät? Klingt die Frage wie eine Erinnerung? Wie eine Unterstellung? Hört es sich freundlich für Sie an? Bedrohlich? Passiv-aggressiv?
Je nachdem, wer da schreibt, wie gut Sie die Person kennen und was für Erfahrungen Sie bisher mit ihr gemacht haben, interpretieren Sie diese kurze Mitteilung doch bestimmt ganz unterschiedlich. So ist das eben, wenn wir den Klang der Stimme nicht hören. Dann passen wir den gefühlten Ton der Nachricht an an das, was wir kennen oder erwarten. Mich irritiert das immer dann, wenn Menschen in ihren E-Mails anders „klingen“ als im richtigen Leben. Dann klingt es plötzlich unnatürlich höflich, oder die eigentlich freundliche Kollegin hat in ihren E-Mails einen irgendwie kurz angebundenen, fast patzigen Ton. Daran muss ich mich dann immer erst mal gewöhnen und komme in Schwierigkeiten, wenn etwas unfreundlich klingt und nicht klar ist, ob es vielleicht wirklich unfreundlich gemeint ist.
In E-Mails geht viel verloren, wir können beliebig viel hinein- und dazwischeninterpretieren, und das nervt. Und Konflikte können entstehen oder sich verschärfen, wenn wir grundsätzlich alles, was von einer gewissen Person kommt, auf eine gewisse Weise interpretieren. Wenn eine E-Mail für mich unfreundlich klingt oder vorwurfsvoll, dann hat das erst mal mehr mit mir zu tun als mit der Person, die sie geschrieben hat. Warum lese ich das so? Würde ich den gleichen Text anders interpretieren, wenn er von einer anderen Person käme? Die Fairness gebietet es, sich diese Frage ab und zu zu stellen.
Hiermit lade ich Sie ein, beim Lesen von E-Mails, die bei Ihnen Ärger, Stress, Frust oder Wut auslösen, kurz innezuhalten und sich zu fragen, in welchem Ton Sie das gerade lesen und warum. Aha-Momente garantiert!