Wieder ist ein spannendes Gespräch mit einer Studentin der Anlass für einen Text. Ich fasse mich kurz und beschreibe nur einen Moment, denn ich suche noch danach, was das eigentliche Thema ist. Geht es um Vorbilder? Trifft das Wort genau das, was ich meine? Ich bin noch nicht sicher.
An dem Moment erinnere ich mich genau, ich muss etwa 20 Jahre alt gewesen sein und begegnete zum ersten Mal einer Frau, die sehr klug und sehr selbstbewusst war, ohne dabei arrogant oder überheblich zu wirken. Sie verblüffte mich mit der Aussage, dass sie in Diskussionen gern recht hat. Eigentlich wolle sie immer recht haben. Mein innerer Reflex war „Krass! Ich nicht. Doch, eigentlich schon. Aber man hat mir so sehr eingebläut, dass dieser Impuls nicht ok ist, dass ich das nie so zugeben würde.“ Tatsächlich war bei mir sehr stark verankert, dass es nicht ok ist, seine Klugheit zu zeigen oder gar besserwisserisch oder rechthaberisch zu sein. Ich hatte keine Vorstellung davon, ob es geht oder wie es gehen könnte, sozialverträglich mit dem Wunsch umzugehen, recht haben zu wollen (und auch oft recht zu haben, weil man sich nämlich gut informiert hat). Und dann ist da diese Frau, vielleicht 20 Jahre älter als ich, und macht mir vor, wie das geht. Selbstsicher, mit Charme, mit einer wunderbaren inneren Stärke, ohne Überheblichkeit und ganz natürlich. „Klar möchte ich immer recht haben!“
Das hat viel verändert. Ich musste erst so eine Frau treffen und erleben, um mir vorstellen zu können, dass es eine sozial akzeptable Version von Rechthaberei gibt. Dass es ok ist, selbstbewusst mit Intelligenz umzugehen. Genau so, wie es ok ist, introvertiert zu sein und eine Führungsposition zu haben. Oder als alleinerziehende Person Chef zu sein, Chefin, evtl. in Teilzeit, mit der gleichen Kompetenz, die man in anderen Lebensumständen ganz ohne Fragen zugeschrieben bekommen würde. Ganz oft muss man das erst sehen, um zu glauben, dass es geht. Und dass man das vielleicht sogar selbst kann. Ich habe diesen Schlüsselmoment nie vergessen, ich sehe die Situation und diese tolle Frau immer noch vor mir. Ich würde sie nicht als Vorbild bezeichnen, aber irgend ein Wort in der Richtung ist angemessen. Sie hat mir gezeigt, dass ich ein neues Selbstbild von mir basteln kann und diesen Aspekt, den ich da bei ihr gesehen habe, integrieren kann. So, dass es zu mir passt.
Genug Denkanstöße für dieses Jahr – bleiben Sie neugierig!