Vor ca. 1,5 oder 2 Jahren habe ich angefangen, mich mit dem Thema „Gewohnheiten“ zu beschäftigen. Bücher, Blogbeiträge, Podcasts, Gespräche mit Leuten, immer mit dem Hintergedanken, dass das, was wir jeden Tag tun, mehr über uns aussagt und unsere Persönlichkeit mehr formt als das, was wir nur ab und zu tun. Klar gab es auch Dinge, die ich mir angewöhnen wollte und von denen ich dachte, dass sie sinnvoll oder nützlich sind. Es sind dann zwei Dinge passiert: Es gibt nun neue Gewohnheiten und eine Routine, mit der langsam weitere dazukommen und sich festigen. Gleichzeitig habe ich aber auch gelernt, dass ein paar schon vorhandene oder geplante Gewohnheiten eigentlich blöd sind.
Zum Beispiel wollte ich mir angewöhnen, regelmäßig meinen Posteingang leerzuräumen und E-Mails ganz klar danach zu sortieren, was ich sofort erledigen kann (David Allens „2 Minuten-Regel“), wo ich Zuarbeit brauche, was ich delegieren kann etc. Ich hab mir vorgestellt, dass der leere Posteingang ganz viel Stress reduziert und ich dann konzentrierter an anderen Aufgaben arbeiten kann. Eine weitere Idee war, regelmäßig Liegestütze zu machen, um stärker zu werden und irgendwann ganz viele am Stück zu schaffen. Mehr Wasser trinken, regelmäßig meditieren, konsequent Pausen bei der Arbeit machen, lauter solche Dinge.
Einige Zeit später habe ich neue Gewohnheiten, aber die aktuelle Covid-19-Situation und mein dadurch völlig veränderter Arbeitsalltag haben mir noch eine neue Perspektive auf das Thema gegeben. Wenn ich jetzt von „vorher“ spreche, dann meine ich „vor den Beschränkungen wegen Covid-19“ und schreibe ansonsten „jetzt“ oder „danach“.
Vorher bin ich oft extra früh ins Büro gefahren, um dort etwas Ruhe zu haben vor dem allgemeinen Trubel. Die Zeit habe ich dann aber zum Leerräumen meines Mailposteingangs genutzt, oft auch zum Abarbeiten von „2-Minuten-Mails“. Das mit dem Postfach ist eigentlich eine gute Gewohnheit, weil ich so regemäßig, aber nicht ständig reinschaue, alles Wichtige schnell zu finden ist, ich alle Termine im Blick habe und nix den Posteingang zumüllt. Eine gute Gewohnheit mit schlechtem Timing – noch viel besser wäre es, das Gleiche zu einer anderen Tageszeit zu tun. Zum Beispiel nach dem Mittagessen, wenn ein kleines Tief kommt. Oder vor dem Feierabend, nach dem Motto: Was jetzt nicht bei mir angekommen ist, kann bis morgen warten. Die ruhige Zeit morgens, wenn ich total energiegeladen bin, ist viel zu wertvoll für Mailkram! Diese Gewohnheit habe ich jetzt, im home office, modifiziert. Mal sehen, wie ich das später wieder in den Arbeitsalltag integrieren kann, wenn die Tage voller und unruhiger sind und es mehr Unterbrechungen gibt.
Vorher habe ich oft Mahlzeiten übersprungen, mir wenig Pausen gegönnt, meine Prioritäten danach geordnet, was andere Leute dringend oder wichtig fanden. Warum eigentlich? Warum sollte ich spät abends oder am Wochenende auf Arbeits-Emails reagieren, selbst wenn ich sie sehe? Daraus wurde auch eine neue Gewohnheit, die ich in die Zeit danach mitnehmen möchte: Abends und am Wochenende reagiere ich nicht auf E-Mails, es sei denn die Mails sind privat, es geht um die Forschung (Spaß!) oder es ist eine „Die-Welt-geht-unter“-Mail von einem*r Studi oder einem*r Kolleg*in. Ich schreibe manchmal Mails, auch an Leute aus dem Institut, aber die speichere ich dann ab und schicke sie erst am Montag Morgen los. Wenn ich jetzt am Wochenende arbeite (und das mache ich immer noch oft), ist es überhaupt nicht mehr fremdgesteuert.
Hier sind ein paar Gewohnheiten, die es geschafft haben und inzwischen fest im Alltag angekommen sind: Genug Schlaf, regelmäßig. Liegestütze, jeden Tag. Es werden immer mehr 🙂 . Wasser trinken, mindestens einen Liter am Tag. Einen Plan für den Tag machen (mit time boxes, das macht Spaß) und großzügig Pufferzeiten einplanen. Es ist super, mit einem Arbeitsabschnitt eine halbe Stunde früher fertig zu sein und dann wirklich eine halbe Stunde Luft zu haben! Außerdem führe ich eine Projektliste, die regelmäßig aktualisiert wird und wo genau dabeisteht, was als nächstes zu tun ist. So habe ich nie dieses blöde Gefühl, etwas zu vergessen oder einen Termin zu verpassen.
Eine regelmäßige Meditationsgewohnheit habe ich dagegen noch nicht hingekriegt. Dafür mache ich seit ein paar Wochen jeden Tag Yoga, und die Abschlusspose Chavasana ist immer eine Mini-Meditation. Ein, zwei Stunden Yoga jeden Tag wirken Wunder. Der Arbeitstag fühlt sich ganz anders an, wenn ich morgens früh aufstehe und eine Stunde lang mit viel Energie arbeite (keine E-Mails!), um dann nach dem Frühstück und 30 Minuten Yoga in die zweite Runde zu starten. Leider sehe ich noch nicht, wie ich das in einer „normalen“ Vorlesungszeit hinkriege. Yoga am Abend: ja, unbedingt! Aber morgens? Naja, noch nicht, bestimmt fällt mir noch was ein.
Ich habe schon mit mehreren Leuten Gespräche nach dem Motto „Endlich kann ich meinen Arbeitstag für mich passend gestalten!“ gehabt. Vorher schien das nicht möglich zu sein, warum eigentlich nicht? Wir alle sollten in die Zeit danach etwas davon mitnehmen. Viele Wissenschaftler*innen und auch Studis haben mehr Freiheit in der Tages- und Wochengestaltung, als sie sich manchmal bewusst machen. Und da muss ich mich selbst ganz fest an die eigene Nase fassen. In einem Beruf mit so viel Freiheit muss es doch möglich sein, den aktuellen Zustand zum Ausprobieren zu nutzen und weitere gute Gewohnheiten zu etablieren, und dann die bewährten auch in die Zeit danach mitzunehmen! Wohlgemerkt: Es geht darum, die Gewohnheit zu etablieren, nicht um gute Vorsätze.
Zum Schluss kommt hier ein Hinweis auf meinen Gewohnheits-Guru: James Clear. Durch sein Buch „Atomic Habits“, seinen wirklich tollen Newsletter und Podcasts mit ihm bleibe ich an dem Thema dran und spüre ganz stark, wie mächtig kleine Gewohnheiten sind und wie sie bleibende Veränderungen bewirken. Deshalb schließe ich mit Werbung. https://jamesclear.com/
Ich hatte mir mal für ein paar Wochen regelmäßiges meditieren angewöhnt. Aber das hat sich leider nicht gehalten. Dabei ging es mir dadurch echt super! Es ist also an der Zeit mir mal anzuschauen was der James Clear dazu zu sagen hat. Vielen Dank für den Tipp. 🙂
(aber erst mal gehe ich jetzt meditieren)