Brief an (manche) Männer

Liebe Männer,

manche, nicht alle. Ich verstehe, wenn Ihr keine Lust habt, über die Benachteiligung von Frauen nachzudenken oder zu reden. Ich verstehe auch, dass manche von Euch wirklich glauben, dass inzwischen alle die gleichen Chancen haben und dass es keine Diskriminierung (mehr) gibt.
Ich verstehe, dass Ihr es unfair findet, wenn man nun mit positiver Diskriminierung ein wenig gegensteuern möchte in Bereichen, in denen es von allein einfach zu langsam geht und wir noch längst keine kritische Masse von Frauen erreicht haben.
Ich verstehe sogar, wenn Ihr mit „Familie“ und „Planbarkeit“ argumentiert und dabei überseht, dass einerseits nicht alle Frauen Kinder haben und dass andererseits an vielen Familien auch Männer beteiligt sind. Die haben deswegen aber keine Nachteile. Wir können ja mal gemeinsam überlegen, wie es in der Politik, der Wirtschaft und der Wissenschaftslandschaft aussähe, wenn vor 20, 30 Jahren die Väter angefangen hätten, Familienfreundlichkeit vehement einzufordern.

Ich höre mir jetzt seit 20 Jahren die immer gleichen Argumente an, oder auch Meinungen, Gefühlslagen, die sich als Argumente tarnen.
Manchmal frage ich nach. Manchmal bin ich einfach nur müde oder gelangweilt. Schlechte Argumente werden nicht besser dadurch, dass Ihr sie immer wieder wiederholt.
Meistens erscheint es mir einfach nur sinnlos, Euch Männer darauf hinzuweisen, dass Ihr zwar daran gewöhnt seid, dass eure Meinung immer und überall angefragt und gehört wird, aber dass es schwierig ist, sich zu Diskriminierung und Benachteiligung differenziert zu äußern, wenn man selbst nie erlebt hat, benachteiligt zu werden. Wenn man blind gegenüber den vielen Vorteilen ist, die man hatte, weil man sich in einer Struktur bewegt hat, die von Männern für Männer aufgebaut wurde und in der Frauen als Störfaktor wahrgenommen wurden (und manchmal immer noch werden).

Wenn Ihr das lest und Euch jetzt ärgert, ok. Wenn Ihr so reagieren wollt wie immer, abwehrend, was wollen wir Frauen denn noch – ok.Wenn Ihr neugierig seid, ob Ihr nicht vielleicht doch etwas übersehen habt in Eurer Argumentation, dann lest weiter.

Liebe Männer,
bitte überlegt doch mal, wie oft Euch irgend etwas aus der folgenden Auswahl schon passiert ist:

Ab der Pubertät werden Eure Geschlechtsmerkmale kommentiert. Ständig.
Fremde schauen Euch an und Ihr spürt, wie sie Euch innerlich auf einer Skala von 1 bis 10 bewerten.
Männer und Frauen kommentieren Eure Kleidung, Eure Frisur, eigentlich alle äußeren Merkmale. Ungefragt.
Ihr werdet ungefragt angefasst. Im Bus, in der Straßenbahn, beim Einkaufen.
Wenn Ihr im Dunkeln unterwegs seid, tut Ihr so, als würdet Ihr telefonieren. Ihr überlegt Euch genau, welchen Weg Ihr nehmt.
Bei wichtigen Terminen wählt Ihr genau aus, was Ihr anzieht, damit nicht zu viel von Eurem Körper zu sehen ist. Könnte ja ein falscher Eindruck entstehen. Eure Kleidung ist sowieso ständig Thema. Hier zu kurz, da zu lang, hier ist zu wenig Bein bedeckt, da zu viel Kopf.
Frauen fallen Euch ins Wort, reden einfach laut drüber.
In Diskussionen werdet Ihr mit Eurer Wortmeldung ignoriert. Bei Sitzungen werdet Ihr für den Praktikanten gehalten und sollt doch bitte mal Kaffee für alle holen.
Ältere Frauen reden mit Euch wahlweise pseudo-mütterlich herablassend oder flirtend. Generell versuchen Frauen oft, sich Euch gegenüber charmant und flirtend zu verhalten, aber meistens ist das peinlich, aufdringlich und unangenehm.
Wenn Ihr nicht lächelt, finden die anderen das irritierend.
Man merkt sich nicht, wie Ihr heißt. Es heißt dann „Der Blonde mit der großen Brille“ oder „Der heiße Typ mit den Locken“.
Bei einem Redebeitrag bleibt nicht hängen, was Ihr gesagt habt, sondern es wird Euer Aussehen kommentiert. Oder Eure Stimme.
Wenn Ihr eine besondere Leistung vollbringt, heißt es „Ist ja klar, Männer können sowas halt gut.“
Im Alter 20 bis 60 wird Euch ständig unterstellt, dass Ihr Vater werden könntet. Dann seid Ihr tendenziell unzuverlässig, oft nicht da, man kann Euch eigentlich keine wichtigen Aufgaben übertragen.
Und wenn Ihr dann doch präsent seid, werdet Ihr gleich gefragt, wer sich denn um die Kinder kümmert. Wie, Ihr habt keine Kinder? Was stimmt denn nicht mit Euch?

Wie würde es sich anfühlen, so behandelt zu werden? Wenn Euch das nicht auch schon oft so oder so ähnlich passiert ist, und zwar einfach nur, weil Ihr Männer seid, dann ist kein Wunder, dass Ihr denkt, dass es keine Benachteiligung oder Ungleichbehandlung gibt. Ihr fühlt das ja nicht. Für Euch fühlt sich normal an, wie Ihr behandelt werdet.

Bitte maßt Euch also nicht an, zu wissen, wie viel Diskriminierung oder Ungleichbehandlung es noch gibt. Bitte maßt Euch nicht an, beurteilen zu können, was sich schon verbessert hat und wie schlimm das ist, was noch an Ungleichbehandlung da ist. Und falls Ihr Euch wiedererkannt habt und auch schon so behandelt worden seid, wie es Frauen oft passiert, dann kommt bitte mit ins Boot und erhebt Eure Stimme. Leider wird Euch nämlich immer noch mehr zugehört.

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