Eigentlich geht es um Rituale. Denke ich. Aber ausnahmsweise meine ich nicht die kleinen persönlichen Rituale, mit denen ich mich so gern beschäftige. Diesmal geht es um gesellschaftliche Rituale in gewissen sozialen Situationen und wie die uns manchmal helfen, wenn wir unsicher sind, wie wir uns verhalten sollen.
Der Hauptanlass für meine Gedanken dazu war der Tod von Queen Elizabeth II. Daher werde ich auch zum Thema Trauer schreiben, aber vielleicht fangen wir mit Emotionen an, die leichter zu verdauen sind.
Ich finde zum Beispiel das Thema „Geschenke“ grundsätzlich verunsichernd. Daher hilft es mir, wenn es Rituale gibt: Ich schenke meinen Nichten und Neffen etwas zu besonderen Anlässen, oder wenn mich etwas für sie anspringt, aber ich erwarte umgekehrt keine Geschenke. (Das hält sie nicht davon ab, massenweise Dinge für mich zu basteln, zu malen etc. … Grüße an alle Tanten und Onkel!)
Es gibt kein „Wir schenken uns alle ständig etwas zum Geburtstag und zu Weihnachten“. Dadurch muss ich nicht darüber nachdenken, wie groß die Geschenke sind, ob jemand eifersüchtig ist, ob man immer allen Kindern etwas schenken muss, auch wenn der Anlass sich nur auf eins bezieht etc. Bei den Erwachsenen gibt es nur die „Ich schenke was, wenn ich Lust habe.“-Regel, und durch diese Regel habe ich mich von einigen sozialen Konventionen verabschiedet, die ich nervig fand.
Aber hier kommen die Rituale: Wenn es ein besonderer Geburtstag (oder Hochzeitstag etc.) ist und zu einer Feier eingeladen wird, dann ist mir klar, dass ein Geschenk dazugehört. Und wenn ich umgekehrt solche Anlässe grundsätzlich nicht feiere, dann muss sich niemand komisch dabei fühlen, mir nichts zu schenken. Grundsätzlich sind mit Einladungen oft Schenkrituale verbunden, und das macht es einfacher für mich, mich zu orientieren. Wenn ich Leute zuhause besuche, bringe ich gern eine Kleinigkeit mit. Etwas unklar finde ich, ab wann man so gut befreundet ist und so sehr bei den anderen ein und aus geht, dass dieses gegenseitige Beschenken nicht mehr gemacht wird. Da habe ich schon erlebt, dass verschiedene Seiten das unterschiedlich gesehen haben.
Dass Rituale hilfreich sein können, wenn wir mit Trauer zu tun haben, wurde mir beim Tod von Elizabeth II. schlagartig klar. Dabei hilft der genau geplante Ablauf, aber auch sonst hatte ich das Gefühl, dass es einerseits in Ordnung war, dass sehr viele Menschen gleichzeitig ihr normales Leben unterbrechen und trauern, und dass es ein paar Tage später genau so in Ordnung war, wieder zur Tagesordnung überzugehen. Aber wie geht es dabei wohl der Familie und engen Freund*innen? Wie gehen die damit um, dass sie immer noch um ihre Mutter oder (Ur-)Großmutter trauern, dass aber der Alltag von ihnen verlangt, in gewisser Weise zu funktionieren? haben Sie sich darüber auch Gedanken gemacht? Wie haben Sie die Staatstrauer und die Rückkehr zur Normalität empfunden?
Bestimmt ist es in manchen Gesellschaften immer noch so, dass es eine offizielle Trauerphase gibt, deren Länge man kennt und die auch sichtbar ist, z.B. durch Kleidung. Da gibt es ein ritualisiertes Verhalten, man weiß, wie man die trauernde Person zu behandeln hat, und auch die trauernde Person weiß, wie sie sich verhalten soll und was sie erwarten kann. Genau so ist klar, wann die Trauerphase vorbei ist und man sich wieder „normal“ verhalten kann. Was denken Sie? Wäre es einfacher, wenn wir dazu so klare Regeln hätten? Haben Sie das aus der einen oder anderen Perspektive schon erlebt?
Ich bin hin- und hergerissen: Auf der einen Seite möchte ich meinen persönlichen Umgang mit Freude und Geschenkeritualen, aber auch mit Verlust und Trauer nicht missen, aber es stimmt eben auch, dass die Abwesenheit von Ritualen dazu führt, dass viele Menschen unsicher sind, wie sie sich verhalten sollen. Diese Unsicherheit hat sich mir in den letzten Monaten oft offen gezeigt, und oft in sehr rührender Form. Falls es Ihnen manchmal so geht, dass Sie nicht sicher sind, wie Sie Ihre Freude zeigen sollen, wie Sie beglückwünschen sollen oder wie Sie mit einer trauernden Person umgehen sollen, dann möchte ich Sie ermutigen, das offen zu sagen. Es ist in Ordnung, auszusprechen, womit Sie hadern und dass Sie unsicher sind, ob und wie Sie Ihre Gedanken und Gefühle ausdrücken sollen.