Was ist der Unterschied zwischen „sich voll reinhängen“ und „den Selbstwert damit verknüpfen“?
Wie können wir uns mit Herzblut einer Sache oder einer Idee widmen und gleichzeitig nicht davon vereinnahmt werden?
Wie nah am Herzen ist gut, und was ist eine gesunde Distanz, um auch Niederlagen verkraften zu können?
Was passiert, wenn wir mit unserem Ego zu stark mit dem Anliegen verbunden sind?
Da sind wir schon mittendrin. Es gibt verschiedene Themen oder Anlässe, die diese Fragen immer wieder bei mir aktivieren. Lehrevaluationen und Rückmeldungen von Studis, Reaktionen in Vorträgen, Anfragen für Kooperationen oder um irgendwo mitzuarbeiten. je nachdem, was da kommt und wie, fühle ich mich gesehen, meine Arbeit wird geschätzt, ich empfinde Dankbarkeit und fühle mich vielleicht sogar geschmeichelt. Dass mein Ego daran hängt und ich mich nicht nur freue, sondern meinen Selbstwert ein wenig daran knüpfe, würde ich merken, wenn sich etwas verändert. Ausbleibende Anfragen, negative Kommentare in der Lehrevaluation usw.: Wenn ich bei berechtigter Kritik gekränkt oder verletzt bin, deutet das darauf hin, dass ich es persönlich nehme und nicht genug Abstand habe, um den Kern der berechtigten Kritik zu sehen und daraus zu lernen. Manchmal passiert das, für einen Moment, und ich kann dann durch ein wenig Abwarten erkennen, ob das nur eine vorübergehende Reaktion war oder ob ich da wirklich mit meinem Ego irgendwo festhänge.
Auf Konferenzen erlebe ich es manchmal, dass Personen auf Fragen oder Kommentare defensiv reagieren und gekränkt, und dass sie sich nicht vorstellen können, dass es bei der fragenden Person ein ehrliches Interesse gibt und dass es nicht darum geht, sie schlecht dastehen zu lassen. Da habe ich dann auch das Gefühl, dass das Ego im Spiel ist und die Person persönliche Angriffe erlebt an Stellen, wo andere wirklich nur aus Interesse nachfragen. Je mehr ich mit dem Herzen an einem Thema hänge, desto eher kann es mir auch passieren, dass ich gewisse Rückfragen oder Kommentare nicht einordnen kann und ich muss immer noch üben, dann offen zu bleiben und der fragenden Person ein ehrliches Interesse zu unterstellen. Manchmal sage ich dann sogar, dass ich sehr involviert bin und vielleicht den Hintergrund der Frage noch nicht richtig verstanden habe, und im Gespräch kann sich das dann klären. Ryan Holiday schreibt „Ego is the enemy“, und ich stimme ihm nur teilweise zu: Ja, das Ego ist oft nicht hilfreich und kann ganz schön im Weg stehen, wenn wir lernen und uns weiterentwickeln wollen. Aber es ist oft zur Abgrenzung nötig. Dort, wo das Ego bei einer Herzenssache ins Spiel kommt, werde ich vorsichtig und versuche, zu verstehen, was großer Einsatz im Sinne der Sache ist und wo mein Selbstwert auf eine Weise involviert ist, die nicht hilfreich ist. Da brauche ich dann ein wenig Sicherheitsabstand.
Anders formuliert (und wahrscheinlich nicht von mir): Die Sache ernst nehmen, aber sich selbst nicht zu sehr!
Wo brauchen Sie mehr Sicherheitsabstand?
