Wie wichtig dieses Wort ist, wurde mir klar, als ich es eine Zeit lang zu selten benutzt habe. Und ich konnte auch bei anderen Menschen beobachten, was passiert, wenn sie nicht „Nein“ sagen.
Wenn unsere Standardeinstellung „Ja“ ist, dann werden wir als hilfsbereit und großzügig wahrgenommen. Solange wir damit zufrieden sind und alle Zusagen einhalten können, spricht nichts dagegen, und mir fallen spontan mehrere Menschen ein, die diese Standardeinstellung haben und die im besten Sinne großzügig mit ihrer Zeit und ihren Talenten umgehen, um andere zu unterstützen. Das finde ich bewundernswert. Problematisch ist es nur dann, wenn die vielen Zusagen dazu führen, dass Absprachen nicht eingehalten werden, Dinge vergessen oder viele Fehler gemacht werden. Der Wille zu helfen ist da, es mangelt nicht an Bereitschaft oder der Fähigkeit, aber es wurden zu viele Gefallen für zu wenig Zeit zugesagt. Anders ausgedrückt: Das „Ja“ kam, ohne zu bedenken, dass jedes „Ja“ auch Zeit kostet und dass die eben nur begrenzt zur Verfügung steht. Eigentlich müsste also bei jedem „Ja“ die notwendige Zeit im Kalender markiert werden, und wenn keine Zeit mehr da ist, muss die Standardeinstellung zu „Nein“ geändert werden. Aber das passiert nicht, sondern die Haltung ist eher „Das kriege ich auch noch hin, sind ja nur 5 Minuten.“. Obwohl keine 5 Minuten mehr da sind.
Jetzt spiele ich mal den Gegenentwurf durch. Standardeinstellung „Nein“, man wird also nicht als großzügig wahrgenommen, sondern eher als egoistisch (?) und wenig hilfsbereit. „Meine Zeit ist dafür zu schade.“ oder „Das ist mir nicht wichtig.“ Manche Leute hören dann „DU bist mir nicht wichtig.“ Schwierig, oder? Wenn ich mir das so vorstelle, dann überlege ich, was passieren müsste, damit aus dem „Nein“ ein „Ja“ wird. Wie wichtig muss mir die Person sein oder das Thema, der Anlass, …, damit ich „Ja“ sage? Die Zeit dafür ist wertvoll, ich habe mir das gut überlegt und halte alle Zusagen zuverlässig ein. Mein „Ja“ bedeutet etwas, ich sage das nicht einfach so.
Tatsächlich arbeite ich daran, öfter mal „Nein“ als Grundeinstellung zu haben. Ich möchte nicht in die Situation kommen, Leute hängenzulassen, weil ich zu oft „Ja“ gesagt habe. Und vielleicht gibt es ja einen Mittelweg, mit dem die eigene Großzügigkeit Raum bekommt und man trotzdem einmal kurz nachdenkt, bevor das „Ja“ oder „Nein“ kommt. Momentan verschafft das „Nein“ mir die Freiheit, um mit umso mehr Überzeugung „Ja“ sagen zu können.
Ich musste „Nein“ sagen auch erst lernen und manchmal fällt es mir noch immer schwer, aber ich bin sehr froh darüber, es ein wenig mehr zu können. Und die besonders schöne Erfahrung und Einsicht, die ich bei diesem Lernprozess hatte, war folgende: „Nein“ sagen können kann auch von dem Gegenüber sehr geschätzt werden. Es heißt (so empfinde ich es jedenfalls) für das Gegenüber, dass er oder sie sich nicht einen zweiten Kopf machen muss, ob man auch wirklich möchte (da geht es meistens um so etwas wie Konzerte oder ein Abend in einer Bar) oder ob man überhaupt die Kapazitäten hat. Wenn das Gegenüber aber weiß, dass man so entscheidet, dass man selbst nicht an seine Grenzen gerät, dann kann das auch sehr schön sein. Ich schätze es sehr, wenn ich weiß, dass Menschen die ich kenne gut „Nein“ sagen können. Ich ermutige auch gerne Menschen dazu. Und ich habe es sehr selten erfahren, dass jemand sauer war, wenn ich mal „Nein“ gesagt habe (eigentlich nur fremde Personen).