Stabilität unter Unsicherheit

Wie wird das Wetter morgen?
Werden sich Vorlesungszeiten oder -formate ändern?
Gibt es bald neue Restriktionen wegen der Pandemie, oder Lockerungen?
Werde ich gesund bleiben, bin ich notfalls auf eine Quarantäne vorbereitet?
Lohnt es sich überhaupt, Pläne zu machen, wenn aktuell alles abgesagt oder verschoben wird?

Ich finde Unsicherheit schwierig. Spontaneität ist nicht meine Stärke, und Planen ist anstrengend, wenn so viele Umstände unklar sind. Das löst ein unterschwelliges Unwohlsein aus, noch etwas unterhalb von Stress, aber auf Dauer nicht so schön. Wenn ich mit anderen darüber spreche, dann geht es mal um Reisepläne, mal um berufliche Entscheidungen oder darum, wie der Rest des Studiums organisiert werden soll.
Planung unter Unsicherheit.

Es gibt mathematische Forschungsgebiete, die sich damit beschäftigen, wie man Unsicherheit modellieren kann und damit arbeiten kann, damit trotzdem Entscheidungen möglich sind. Ich arbeite nicht in dem Bereich und bin auch nicht sicher, ob das helfen würde – naja, vielleicht gewöhnt man sich dran oder hat dann einfach ein paar Witze dazu auf Lager. Mich interessiert aber eher die psychologische Seite. Wie wir mit Unsicherheit umgehen, sie wahrnehmen und darauf reagieren, und trotzdem Rhythmus und Stabilität in unserem Leben behalten.

Meine Leitfrage dazu sieht ungefähr so aus:
Wie unterscheide ich in unsicheren Zeiten zwischen Umständen,
die ich beeinflussen kann, und solchen, die ich nicht beeinflussen kann,
und wie erhalte ich die nötige geistige Gesundheit und Wachheit, um
dann, wenn es darauf ankommt, gute Entscheidungen zu treffen?

Ein paar Rezepte habe ich gefunden, die mir helfen. Zum Beispiel gibt es Kleinigkeiten, bei denen es sich nicht lohnt, immer wieder drüber nachzudenken – ich denke ja auch nicht nach, ob ich mir die Zähne putze oder ob ich mir Schuhe anziehe, wenn ich rausgehe. Was gibt es noch in der Kategorie?
Regelmäßig essen, trinken, genug schlafen.
Den Körper zusätzlich fit halten, optional. Gehört bei mir zur Standardeinstellung, mit Kraftübungen und Yoga. Jeden Tag, ohne Nachdenken.
Uni oder zuhause arbeiten? Aktuell ist die Standardeinstellung „zuhause“, und nur bei Präsenzlehre oder für Vorträge per Video fahre ich ins Institut. Eine Entscheidung weniger.
Weg zur Uni: Fahrrad oder Tram? Aktuelle Standardeinstellung ist Fahrrad.
Essen? Standardeinstellung „keine Mensa“, sondern von zuhause was mitnehmen und evtl. nach Feierabend warm essen.

Ich finde immer wieder Kleinigkeiten, bei denen ich eine Standardeinstellung festlegen kann, von der ich nur aus sehr guten Gründen abweiche. So hat jeder Tag ein paar feste Rituale und einen Rahmen, der Stabilität gibt. Sicherheit im Kleinen. Vor allem finde ich wichtig, mich körperlich gesund zu halten und „wach“ zu bleiben, denn manchmal muss doch etwas schnell entschieden werden und dann möchte ich mich geistig fit und bereit fühlen, um zu entscheiden. Und dann gibt es noch das „Das muss ich noch nicht entscheiden.“. Bei der Vorbereitung der Vorlesungen war monatelang Unsicherheit im Spiel, und wir alle wussten nicht, wie am Ende die Lehrformate aussehen (dürfen). Den Studis ging es genau so: Zuerst gab es nur spät Infos, dann immer wieder neue, Planen war schwierig. Also habe ich mir gedacht: Was kann ich beeinflussen und wo muss ich auf Ansagen von woanders warten? Und dann hab ich alles vorbereitet, was ich brauchte, hab mich informiert und dort meine Energie investiert, wo ich etwas beeinflussen konnte. Und dann hab ich gewartet.
Die „kein Stress“-Einstellung vorher hat geholfen, um im Moment, als die Ansagen kamen, sofort reagieren zu können (und auch, als sich dann alles noch drei Mal geändert hat). Zugegeben, ich übe das noch und warte nicht so entspannt ab, wie sich das hier liest. Aber die Übung lohnt sich und beim nächsten Mal fällt es mir bestimmt schon leichter, abzuwarten und die Entscheidung erst zu treffen, wenn es nötig ist. Bei ganz vielen geplanten Veranstaltungen hätte ich mich verrückt machen können nach dem Motto „Findet das statt? Ja, nein? So oder so? Was muss ich machen? Muss ich was umbuchen oder stornieren? Wen muss ich fragen?“ Stattdessen hab ich mir eine Frist gesetzt und bis dahin abgewartet, und in allen Fällen kam irgendwann eine Nachricht, durch die sich alles in Luft aufgelöst hat (Absage oder Verschiebung), so dass ich gar nix machen oder höchstens „Ja, ok“ antworten musste.

So weit mein Rezept für Unsicherheit!
Gesund halten, wach und informiert bleiben, kleine Rituale etablieren, Standardeinstellungen definieren, abwarten, bis die Entscheidung wirklich getroffen werden muss.

Und was ist Ihr Rezept?

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