Wachstum

Schwieriges Wort, das gebe ich zu. Hat gleich was von Marktmodellen, Wirtschaftswissenschaft und so. Nein, das wird weder ein wirtschaftswissenschaftlicher Beitrag noch Kapitalismuskritik. Es geht um eine innere Einstellung, eine Haltung. Wir beginnen mit ein paar Fragen:

Wer sind Sie? Was macht Sie aus? Was können Sie, was nicht? Was wissen Sie, was nicht? Wo haben Sie eine gefestigte Meinung, wo nicht? Wen mögen Sie, wen nicht? Was ärgert Sie, was nicht? Ok, jetzt ist deutlich geworden, worauf ich hinaus möchte – eine Zustandsbeschreibung. Und was davon war gestern genau so, wie Sie es heute beschreiben? Was davon ist morgen auch immer noch genau so?

Bei näherem Hinsehen stellt sich (hoffentlich?) heraus, dass Sie heute nicht ganz genau so sind wie gestern, und morgen werden Sie auch wieder ein wenig anders sein. Nicht nur biologisch älter, sondern Sie werden sich morgen etwas anders fühlen als heute, Sie werden ein paar Erfahrungen gemacht haben (nämlich heute im Lauf des Tages), und vielleicht haben Sie etwas dazugelernt und etwas anderes vergessen. In jedem Fall verändern Sie sich ein wenig. Und wenn wir uns biologisch wandeln, älter werden, Dinge vergessen und dazulernen, warum sollten wir uns dann nicht auch noch grundsätzlicher verändern können? Ist nicht genau das die Grundlage für Wachstum? Inneres Wachstum? Ist nicht die Fähigkeit zum Wandel erst die Voraussetzung dafür, dass wir wachsen, wirklich dazulernen und reifer werden können?

Ich stelle mir das ungefähr so vor: Jeden Morgen beim Aufwachen kann ich mir die Frage stellen, was bleiben soll und was „weg kann“. Was gleich bleiben darf und was sich, bitte schön, verändern soll. Denn jeden Tag habe ich die Möglichkeit, mich ein wenig zu verändern. Nur weil ich mich gestern über etwas geärgert habe, muss ich das heute nicht automatisch auch tun, denn ich bin ja heute anders. Ich kann ein bisschen mitentscheiden, ob ich den Ärger von gestern mit in den heutigen Tag lasse oder nicht. Und selbst dann, wenn der Ärger mehrere Tage lang anhält, heißt das nicht, dass er für immer da sein wird. Das Wissen darum, dass ich morgen eine Andere bin als heute, macht überhaupt erst möglich, dass ich glauben kann, dass der Ärger irgendwann weg geht. Und dieses Prinzip möchte ich so breit wie möglich anwenden. Wenn ich etwas nicht weiß, dann heißt das, dass ich es jetzt gerade noch nicht weiß. Ich kann es aber lernen. Wenn ich etwas nicht kann, kann ich es noch nicht und kann es vielleicht lernen.

Was auch immer ich glaube, über mich zu wissen, kann ich in Frage stellen mit dieser Haltung: Das ist heute so, aber vielleicht ist es morgen anders. Meine Meinung dazu ist heute so, ich habe mir das gut überlegt, aber es könnte sein, dass ich heute neue Fakten dazu erfahre und dass ich dann morgen eine andere Meinung dazu habe. Dabei werden manche Meinungen fester stehen als andere, mancher innere Maßstab ist kaum zu verrücken, manch eine Charaktereigenschaft ist tief verwurzelt. Aber es gibt Spielraum zur Veränderung. Können Sie sich heute schlecht motivieren? Das heißt nicht, dass Sie grundsätzlich eine Person sind, die sich schlecht motivieren kann. Es heißt nur, dass es Ihnen heute so geht (und vielleicht schon oft so ging). Morgen könnte es anders sein. Ärgern Sie sich über jemanden und haben das Gefühl, das nie verzeihen zu können? Wenn das heute so ist, dann ist es nicht automatisch auch morgen so. Es ist sehr gut möglich, dass der Tag kommt, an dem ein Fünkchen Verzeihen aufkeimt, und dann irgendwann noch ein bisschen mehr. Lauter kleine Veränderungen, die möglich sind, weil wir uns jeden Tag ein wenig wandeln. Jedenfalls finde ich diese Einstellung fruchtbarer als eine, nach der wir quasi fertig, einmal geformt, durch die Welt laufen und dann nunmal so sind, wie wir sind. Es gibt mir Hoffnung, dass wir jeden Tag diese Möglichkeit haben, bessere Entscheidungen zu treffen als am Tag davor.

Und das meine ich mit Wachstum. Nicht nach oben oder außen, sondern nach innen. Jeden Tag lernen wir uns ein wenig besser kennen, wachsen ein klein wenig hin in eine Richtung, die uns ins Reine mit uns selbst bringt. Jeden Tag ein bisschen mehr Klarheit. Alles nur, weil wir jeden Tag mit der Frage starten: Na, was verändert sich heute? Was werde ich lernen?

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