Präsenz

Wie präsent sind Sie?
Passiert es Ihnen oft, dass Sie während einer Unterhaltung in Gedanken abschweifen oder beim Lesen plötzlich merken, dass Sie den letzten Absatz gar nicht aufgenommen haben, oder dass Sie eigentlich einen Film gucken wollen, aber nur die Hälfte mitbekommen, weil gleichzeitig ein innerer Film läuft? Wann bekommen Sie wirklich mit, was genau jetzt passiert, und wann sind Sie abgelenkt vom inneren Selbstgespräch, Erinnerungen, Ängsten, To-Do-Listen?

Seit ich mich mit dem Thema Selbstorganisation/Zeitmanagement befasse, habe ich zwei Dinge noch einmal neu und anders verstanden. Sozusagen zwei Missverständnisse für mich aufgeklärt.

Das erste Missverständnis liegt im Wort „Zeitmanagement“. Zeit ist da, sie vergeht. Da gibt es nichts zu „managen“. Ich kann nur entscheiden, wie ich meine Zeit verbringe. Mit was, mit wem. Davon hängt auch ab, wie schnell sie meinem Gefühl nach vergeht und ob daraus später Erinnerungen werden. Was da „gemanagt“ wird, ist nicht die Zeit. Es sind meine Prioritäten. Für jede Minute entscheide ich mit, was ich mache, ob bewusst oder unbewusst. Nichts zu tun bedarf auch einer Entscheidung. Die Klärung bestand also für mich darin, nicht mehr etwas an der Zeit machen zu wollen und noch effizienter Zeug in die doch immer gleich vielen Stunden jeden Tag zu quetschen, sondern zu klären, womit ich meine Zeit verbringen möchte.
Worauf habe ich Einfluss, worauf nicht?
Was für Geschichten erzähle ich mir selbst im Zusammenhang damit, wie ich meine Zeit verbringe?
Bestimmt wissen Sie, was ich meine. Dieses ganze „Ich bin gestresst, also bin ich wichtig“ oder „Es ist ok, wenn ich unpünktlich bin oder Termine kurzfristig absage, denn ich hab ja so wenig Zeit.“ Bullshit.
Es geht um Prioritäten und Entscheidungen. Die innere Klärung führt dazu, dass die Prioritäten deutlicher werden und ich das Vergehen der Zeit mehr wahrnehme.

Das zweite Missverständnis liegt darin, dass Selbstorganisation und das Nachdenken über die eigene Produktivität dazu da sind, mich produktiver und effektiver zu machen. Das denke ich jetzt nicht mehr. Stattdessen denke ich, dass die bessere Organisation dafür sorgt, dass es keine im Kopf herumschwirrenden losen Fäden mehr gibt. Oder fast keine. Sie wissen, was ich meine, oder?
„Was war noch diese E-Mail, die ich vorhin schreiben wollte?“
„Heute war doch noch irgend ein Termin, oder? Hoffentlich gibt es eine Erinnerung.“
„Ich wollte doch den-und-den noch das-und-das fragen, worum ging es da nochmal…“
Passiert nicht. Alles wird festgehalten, stets wird eine Entscheidung getroffen. Hab ich was zu tun? Jemand anders? Was genau? Bis wann? Ist es überhaupt wichtig?
Das entstehende Gefühl der Klarheit ist unglaublich. Wenn ich jetzt mal vor der Zeit mit etwas fertig bin, dann ist da nicht dieses ungute „Was wollte ich noch mal machen?“- oder „Hab ich was vergessen?“-Gefühl, sondern dann ist da einfach Luft. Die Gewissheit, dass alles irgendwo steht und ich es deshalb regelmäßig angucke, gibt dann plötzlich ein Gefühl von Freiheit und … Präsenz.
Weil nämlich dann die Aufmerksamkeit genau da sein kann, wo sie hingehört, und sie nicht halb feststeckt bei Abgabeterminen oder To-Do-Listen.

Klar machen solche Systeme und Gewohnheiten auch produktiver, aber der größte Gewinn ist dieses entspannte Gefühl von Freiheit und Klarheit. Bei jedem Projekt ist klar, was als nächstes zu tun ist. Jede Abgabefrist wird rechtzeitig berücksichtigt und eingeplant, so dass es Raum für Unvorhergesehenes gibt. Wenn dann jemand dringend sofort einen Gesprächstermin braucht oder jemand vergessen hat, einen Abgabetermin rechtzeitig weiterzugeben, dann ist das keine Katastrophe, sondern ich kann präsent sein und abliefern. Je nach Tagesform. Das könnte ich nicht (so gut), wenn ich im Stress wäre und ständig drei Abgabeterminen hinterherhecheln müsste, weil ich zwischendurch die Hälfte vergesse.

Und?
Welche Missverständnisse gibt es bei Ihnen zum Thema Produktivität?
Sind Sie abgelenkt von losen Fäden?
Wie präsent sind Sie?

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