Bei einer Tagung von „European Women in Mathematics“ habe ich zum ersten Mal erlebt, dass es auf einer Konferenz nicht nur um mathematische Inhalte ging, sondern dass die Vortragenden zu Beginn ihres Beitrags kurz etwas über sich und ihren Werdegang erzählt haben.
Inzwischen gibt es Formate, die das sogar als Schwerpunkt haben: Die Geschichte hinter dem Lebenslauf. Der Werdegang mit allen Höhen und Tiefen, mit den Begleitumständen, mit Schlüsselmomenten und schwierigen Entscheidungen.
Wie sieht Ihr Lebenslauf aus?
Die professionelle Version, die man auf Ihrer Internetseite findet oder die Sie bei Bewerbungen benutzen?
Gibt es Stellen, an denen Sie bewusst etwas weggelassen haben?
Kann man irgendwo erkennen, dass etwas nicht wie geplant geklappt hat oder dass mehrere Versuche nötig waren?
Erweckt Ihre Darstellung den Eindruck, dass alles glatt lief?
Kann man erkennen, wo und wie Ihnen andere Menschen geholfen haben?
Es ist sinnvoll, sich diese Fragen durchaus selbstkritisch zu stellen nach dem Motto „Welchen Eindruck erweckt das, was da steht?“. Dabei ist die Intention nicht unbedingt, da etwas zu ändern, aber es kann als Nebeneffekt auftreten, dass Sie nach einer solchen Selbstbefragung zusätzliche Punkte mit aufnehmen, andere Akzente setzen oder etwas weglassen. Die Frage ist ja, welcher Eindruck entsteht und ob man beim genauen Hinsehen oder Nachfragen einen ganz anderen Eindruck bekommt.
Und da bin ich wieder bei den Formaten, wo man hinter den offiziellen Lebenslauf schaut. Ich war sehr erstaunt, von einer gestandenen Professorin zu erfahren, wie oft Dinge nicht funktioniert haben und dass sie u.a. deswegen oft große Selbstzweifel hatte. Wenn jemand erst mal Professorin ist, fragt man nicht unbedingt nach, wie viele Bewerbungen dafür nötig waren. Wie viele Ablehnungen es gab, wie viele dumme Sprüche man sich unterwegs anhören musste.
Haben Sie das auch schon mal erlebt?
Dieses Gefühl von „Ach so, das lief gar nicht so glatt?“
„Der Kollege ist gar nicht so selbstsicher?“
„Für dieses große Drittmittelprojekt waren drei Anläufe notwendig?“
„Wie bitte, die Kollegin war 5 Jahre aus dem akademischen Umfeld raus und ist dann noch Professorin geworden?“
Der Schein kann trügen. Ich wirke oft selbstsicher, habe aber viele Zweifel. Juniorprofessorin mit 30 Jahren sieht erst mal gut aus, aber wenn ich mehr darüber erzähle, wie der Weg dahin aussah, wie oft ich an mir und dem eingeschlagenene Weg gezweifelt habe und was da alles gar nicht im Lebenslauf erkennbar ist, dann gucke ich in überraschte Gesichter.
Vor allem die Themen „Glück“ und „Pech“ möchte ich noch ansprechen, weil Vieles, was man im Lebenslauf nicht hinschreibt, damit zu tun hat. Und das hat mehrere Ebenen. Wann haben Sie in den letzten paar Jahren mal so
richtig Pech gehabt oder so richtig Glück? Damit meine ich Glück im Sinne von gutem Timing, einer zufälligen Begegnung oder so. Mit Pech meine ich unglückliche Umstände, z.B. ein verpasstes Bewerbungsgespräch wegen eines Streik oder eines Unfalls, oder eine gute Gelegenheit, die verpasst wurde, weil man sie erst nach dem Bewerbungsschluss gesehen hat. Mir fallen da ein paar Situationen ein.
Es gab auch Gelegenheiten, bei denen es nicht nur auf meine Fähigkeiten ankam, sondern auch darauf, was andere Leute wollten oder was sie für Vorstellungen hatten. Sowas kann auch Glück oder Pech sein, oder? Schließlich kann man den Ausgang der Situation nicht allein durch Können oder Wissen beeinflussen, da ist aus der eigenen Perspektive ein Zufallselement dabei.
Und darauf möchte ich hinaus. Wenn wir Glück haben, dann heißt das einfach nur, dass mehr im Spiel war als Wissen oder Können. Aber ohne Wissen, Können, gute Vorbereitung hätte das Glück wahrscheinlich nichts genützt. Wenn Sie sich auf eine PostDoc-Stelle bewerben und „Glück haben“, dass da Leute Ihre Papers kennen und Sie gut finden, dann müssen Sie immer noch beim Vorstellungsgespräch überzeugen. Sonst nützt das Glück oder das gute Timing nichts. Auch bei „Pech“ kann es sein, dass wir etwas daraus lernen können und dass es eben nicht nur die Umstände waren. Zug verpasst, Pech gehabt? Naja, war denn ein ausreichender Puffer eingeplant? Würde man das beim nächsten Mal vorsichtiger planen, so dass man trotz Pech immer noch eine Chance hat?
Interessanterweise gehen wir sehr unterschiedlich mit (vermeintlichem?) Glück oder Pech um, genau wie mit anderen Umständen, die wir nicht beeinflussen können. Das prägt massiv unser Selbstbild und die Geschichte, die wir uns selbst und anderen erzählen. Wenn Sie jemand fragt, wie Sie Ihre PostDoc-Stelle bekommen haben, und Sie dann immer wieder sagen „Ich hatte nur Glück!“, und wenn Sie den Teil der Geschichte weglassen, bei dem Sie gute Ratschläge für Ihre Bewerbungsunterlagen bekommen haben, Sie auf mehreren Konferenzen sehr gute Vorträge gehalten haben, jemand Sie beim Publizieren des ersten Artikels unterstützt hat – dann erzählen Sie nur die halbe Wahrheit. Genau so umgekehrt – ich höre immer wieder „Erfolgsgeschichten“, bei denen der Eindruck erweckt wird, man sei eben besser als alle anderen gewesen und habe besonders hart gearbeitet, und dabei wird unterschlagen, dass man „Glück“ hatte, weil z.B. die Eltern während der Promotion bei der Kinderbetreuung geholfen haben oder der Doktorvater besonders bekannt ist und man daher auf ein paar mehr Konferenzen fahren konnte.
Ich werde mir jedenfalls vor dem nächsten Vortrag, bei dem es um die Geschichten hinter meinem Lebenslauf geht, genau überlegen, wie ich über Glück, Pech und besondere Begleitumstände spreche. Zumal es auch eine Fähigkeit ist, bei gutem Timing oder Glück vorbereitet zu sein und die Gelegenheit dann beim Schopf zu greifen.
Oder?
Wie denken Sie jetzt über Momente mit Glück oder Pech in Ihrem Leben?
Hat sich etwas verändert?