Diversität und Differenzierung im Fremdsprachenunterricht

Unterrichtsvorschläge für einen diversitätssensiblen und mediengestützten Fremdsprachenunterricht

Une star – Lernschwierigkeiten

Unterrichtsreihe

Die vorliegende Unterrichtsstunde wird in einer 8. Klasse durchgeführt.Es handelt sich um die 6. Stunde, die im Rahmen der Unterrichtsreihe ,,Des passions et des héros“ gehalten wird. In den vorherigen Stunden wurde bereits das Vokabular zu den Themenfeldern ,,le sport“ und ,,la passion“ eingeführt sowie der Indefinitbegleiter ,,tout“ und die indirekten Objektpronomen ,,lui, leur“. Die SuS lernten die Bezeichnungen für die verschiedenen Stars kennen sowie auch Gründe für eine Bewunderung. Weiterhin wurde auch bereits die Formulierung einzelner Fragen behandelt. Das Ziel dieser Unterrichtsstunde ist die Durchführung eines Mini-Interviews. Die SuS können dabei die Frage zu einem Lieblingsstar stellen und auch individuelle Antworten auf diese Frage geben. Die erlernten Vokabeln sollen in dieser Stunde gefestigt und angewendet werden. Dafür wird in der Stunde vorrangig die Sprechkompetenz geschult. Unterstützend dafür benötigen die SuS auch ihre Schreibkompetenz.

Diversitätsaspekt

Am Unterricht nehmen mehrere SuS mit ,,Lernschwierigkeiten“ teil. Unter dem Begriff Lernschwierigkeiten versteht Gustav Kanter einen Oberbegriff für alle Faktoren, welche das Lernen und die Entwicklung eines Heranwachsenden negativ beeinflussen. Demnach ist die Bezeichnung Lernschwierigkeit ein Oberbegriff für Lernstörung und Lernbehinderung als auch für langsame, schwache Lerner, die zwar auch Schwierigkeiten im Unterricht haben, für die jedoch keine erkennbare klinische Ursache oder Diagnose vorliegt. Dies äußert sich bei den betroffenen SuS oftmals durch z.B. Schweigen im Unterricht aufgrund fehlender Grammatik, große Lücken im Wortschatz oder der Angst vor Fehlern (vgl. Kanter 1980, S. 47).

Dagegen versteht man unter dem Begriff ,,Lernstörung“ eine umschriebene Entwicklungsstörung schulischer Fertigkeiten (nach ICD-10), bei der ein erhebliches Schulleistungsversagen trotz intakter (unauffälliger) Intelligenz vorliegt. Es liegt hier eine Diskrepanz zwischen den eigentlichen Fähigkeiten eines Kindes und den tatsächlich erbrachten Schulleistungen vor. Beispiel für eine Lernstörung ist die Lese-Recht-Schreibstörung oder die Dyskalkulie (vgl. Gold 2014).

Tritt eine ,,Lernbehinderung“ auf, so ist damit ein lang andauerndes, umfassendes und schwerwiegendes Schulleistungsversagen gemeint, welches mit der Beeinträchtigung der Intelligenz verbunden und fächerübergreifend zu beobachten ist (vgl. Kieweg 2012, S. 2 zit. n. Kraus/Topf 2017, S. 2). Im Jahr 1999 ersetzte die KMK die Bezeichnung Lernbehinderung durch den Förderschwerpunkt Lernen, welcher heutzutage die größte sonderpädagogische Fördergruppe von 200.000 Kinder umfasst (Rhode/Schick 2020, S. 388). Diese Gruppe zeichnet sich durch starke Heterogenität aus und wird daher in 5 Gruppen unterteilt:

(1) Verständnisschwierigkeiten und mangelndes Aufgabenverständnis (2) niedrige Intelligenz (3) mangelnde schulische und kognitive Fähigkeiten (4) Sprachstörungen und Aufmerksamkeitsstörungen (ohne Hyperakivität)(5) überforderte Schüler mit Aufmerksamkeitsstörung (Hyperaktivität). (vgl. Gold 2014)

In der heutigen Zeit sind jedoch die Grenzen zwischen den einzelnen Bezeichnungen fließend. Beide Formen werden sowohl an allgemeinbildenden Schulen als auch an Förderschulen unterrichtet. Insgesamt sind 20-25% aller Kinder und Jugendlichen von Lernschwierigkeiten betroffen (vgl. Kraus/Topf 2017, S. 2-8).

Unterrichtsstunde

In der zu unterrichteten Klasse lernen zwei SuS mit LRS und eine Schülerin mit Lernbehinderung. Alle SuS erhalten einen Nachteilsausgleich durch längere Bearbeitungs- bzw. Schreibzeiten. Die Stundenplanung soll jedoch noch stärker auf die individuellen Bedürfnisse der SuS eingehen und eine Differenzierung während des Unterrichts vornehmen. Dabei bleiben die Ziele des Unterrichts für alle SuS gleich. Jedoch werden besonders in der Methodik verschiedene Formate angeboten, die es den SuS ermöglichen, auf unterschiedlichen Wegen und auch mit verschiedenen Zugängen und Visualisierungen zu gleichen Lernergebnissen zu gelangen. Ebenfalls erfolgt auch eine Differenzierung nach Interessen und Sozialformen. Insgesamt folgt diese Stunde einer klaren zeitlichen und räumlichen Strukturierung. Es wird versucht, weitestgehend in der Fremdsprache zu kommunizieren. Der stärkere Gebrauch der L2 bei SuS führt automatisch zu besseren Ergebnissen, da so die Fremdsprache als authentisches Kommunikationsmittel akzeptiert und wahrgenommen wird. Die SuS erwarten keine Übersetzung und bemühen sich die Inhalte beim ersten Mal zu verstehen.

Am Ende der Stunde können die SuS die Frage zu einem Lieblingsstar stellen und auch Antworten auf diese Frage geben, indem sie ein Mini-Interview in der Klasse durchführen. Zu Beginn der Stunde erfolgt eine ritualisierte Begrüßung: Die SuS stehen auf und rufen im Chor ,,Bonjour Madame“. Im Anschluss beginnt die Reaktivierungsphase der Vokabeln zum Themenfeld ,,Une star“. Dafür wird eine ganz bestimmte Methode angewendet, die die SuS bereits kennen: Die SuS laufen mit begleitender Musik durch den Raum und suchen ihr Gegenstück. Besonders für SuS mit einer Lernschwäche ist eine Strukturierung und Ritualisierung von großer Bedeutung, da sie sich so besser auf den Lerngegenstand konzentrieren können. In diesem Fall kennen die SuS bereits die Methode und die Strukturierung der Arbeitsmaterialien und können so ihre Aufmerksamkeit auf die Sprache richten. Ebenso ist es für SuS mit Lernschwierigkeiten relevant, einen lebensweltlichen Bezug herzustellen und ihr persönliches Interesse zu wecken, denn unser Gehirn lernt vor allen Dingen schneller, wenn die Lerninhalte mit der Umwelt verknüpft sind. Daher werden hier für diese Übung sehr bekannte Stars ausgesucht, welche sicherlich viele SuS als Vorbild sehen. Auch die Begrüßung schafft eine authentische Sprachhandlungssituation und gibt dem Geschehen eine realitätsnahen Sinn. Weiterhin dient diese erste Übung als Vorentlastung für den weiteren Bearbeitungsprozess. Da es sich hierbei um einige schwierige Wörter handelt, ist es besonders für SuS mit LRS wichtig, dass diese auf Karteikarten festgehalten und multisensorisch geübt werden. Während dieser Übung wird sowohl die Aussprache geübt als auch das Hören, Sehen und Verbinden der Bilder mit den Vokabeln, denn in der Literatur wird oftmals erwähnt, dass besonders lernschwache Kinder vom Hör-Seh-Verstehen profitieren. Außerdem wird auf den Wortkarten auch zwischen männlich und weiblich unterschieden und dabei signalgrammatische Elemente bzw. Farben genutzt (Nomen maskulin blau, Nomen feminin rot).

In der darauffolgenden Erarbeitungsphase steht die Arbeit mit einem Arbeitsblatt im Vordergrund. Auf diesem wird die Vorbereitung eines Interviews sehr kleinschrittig geübt. Zunächst wird die Fragestellung wiederholt, folglich werden die individuellen Antworten vorbereitet und im Anschluss wird gezeigt, wie man die erhaltenen Antworten der Mitschüler dokumentieren kann. Die Stunde enthält daher einen roten Faden und eine klare Strukturierung. Ebenfalls wird auch an dieser Stelle das Stundenziel vermittelt, so dass dieses auch für alle SuS transparent ist und die einzelnen Schritte für SuS mit Lernschwierigkeiten besser nachzuvollziehen sind. In der ersten Aufgabe der Formulierung der Frage nach einem Lieblingsstar sind die einzelnen Satzglieder farblich gekennzeichnet. Kinder mit LRS können sich zudem an den Vokabelkästchen orientieren, die bereits die richtig übersetzten Satzglieder präsentieren, jedoch noch nicht in der korrekten Reihenfolge. Weiterhin können sie auch mit ihrem Sitznachbarn zusammenarbeiten und ihre Ideen austauschen. Im Anschluss werden die Ergebnisse zusammengetragen und die Lösung an das White-Board geschrieben. Daraufhin wird im Chor die korrekte Aussprache der Frage mehrfach trainiert. Dies ist wiederum besonders wichtig für Kinder mit LRS, welche oftmals andere Laute wahrnehmen und Schwierigkeiten haben, die einzelnen Wörter nachzusprechen.

Im zweiten Schritt bereiten die SuS ihre Interviewantworten vor. Dabei können sie sich an einem Beispielsatz orientieren. Für SuS mit einer Lernschwäche steht eine Hilfestellung durch Vorgabe von Strukturen zur Satzbildung bzw. passende Verben und Adjektive zur Verfügung, die bereits einige grammatische Strukturen beinhalten (Konjugation 3. Person, Endungen der Adjektive), welche die SuS je nach Sprachstand und Neigung für die Bearbeitung der Aufgaben nutzen dürfen. Auf diese Weise können sich die SuS mit Lernschwierigkeiten auf den Inhalt ihrer Antworten konzentrieren und müssen sich nicht unbedingt zusätzlich um die grammatischen Regeln Gedanken machen. Durch die Vorgaben haben sie insgesamt mehr Zeit, ihre Wörter im Kopf zu ordnen bzw. nachzuschauen und die einzelnen Vokabeln in einem Satz zu integrieren. Diese Aufgabe ist ein gutes Beispiel für die sogenannten halboffenen Aufgabenformate, die besonders für lernschwache Kinder vom Vorteil sind. Auf der einen Seite ermöglichen solche aufgabenorientierten Formate individuelle Zugänge und Lösungsmöglichkeiten, aber auf der anderen Seite sind hier dennoch thematische Grenzen gegeben durch das Thema ,,Lieblingstar“ als auch durch die Auswahl der ,,Startypen“ (Kästchen A). Auf diese Weise kommen die Lernenden zu unterschiedlichen Ergebnissen, was in Hinblick auf den Spracherwerb positiv zu betrachten ist, denn es führt nämlich dazu, dass sich die Lernenden für Sprachmittel entscheiden, die für sie ganz persönlich bedeutungsvoll sind. Die konkreten Situationen haben besonders für SuS mit Lernschwierigkeiten eine Bedeutung, da sie zu kommunikativen Handlungen anreizen. Das Interview an sich und das Thema schaffen einen authentischen Sprachanlass. Durch die Unterschiedlichkeit in der Auswahl der Stars, die die Mitschüler nicht kennen, ergibt sich Gesprächsbedarf.

Im folgenden letzten Schritt der Vorbereitung auf das Interview wird verständlich vorgegeben, wie die SuS ihre erhaltenen Antworten dokumentieren sollen. Dabei wird wieder mit einem Beispiel gearbeitet und noch einmal die Konjugation des Verbes ,,dire“ wiederholt. Dafür stehen den SuS auch unterschiedliche Methoden und Zugänge zur Verfügung. Entweder sie versuchen die Konjugationsformen aus dem zuvor behandelten Lehrbuchtext herauszufinden oder sie hören einem RapSong aufmerksam zu und füllen die Konjugationsformen nach ihrem Gehör aus, wobei sie den Songtext mitlesen können. An diesem Punkt bietet das Hör-Seh-Versehen den SuS mit Lernschwierigkeiten viele Vorteile und alle Sinne werden miteinbezogen.

Schlussendlich führen die SuS das Interview nach der Methode des ,,Omniumkontaktes“ durch. Diese Methode ist den SuS bereits bekannt und sie können sich auf die Erfüllung des Arbeitsauftrages konzentrieren. Durch die detaillierte und kleinschrittige Vorbereitung sind auch die SuS mit einer Lernschwäche in der Lage, das Stundenziel zu erfüllen.

In der Lösungsphase können die SuS ihre erhaltenen Antworten der Klasse vorlesen, wobei die anderen MitschülerInnen erraten, von welchem Schüler oder von welcher Schülerin diese Antwort gegeben wurde. An dieser Stelle wird nochmals die Aussprache und das Zuhören trainiert. Mit dieser zusätzlichen Höraufgabe erhalten die SuS nicht nur einen Grund zu sprechen, sondern auch einander zuzuhören oder ggb. zu korrigieren. Alternativ können die Dokumentationen auch abgegeben werden.

Zuletzt erfolgt eine ritualisierte Verabschiedung der Lehrerin: ,,Merci pour votre travail. Bonne journée“.

Materialien

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Literatur

Gregor, Gertraud u.a. (2019): À toi! 2. Lehrwerkstätte für den Französischunterricht, Berlin: Cornelsen

Ministerium für Bildung des Landes Sachsen-Anhalt (2022): Fachlehrplan Gymnasium Französisch, Magdeburg.

Rhode, Andreas/Schick, Kim (2020): ,,Schüler/-innen mit Lernbehinderungen“, in: Hallet, Wolfgang u.a. (Hg.): Handbuch Methoden im Fremdsprachenunterricht, Hannover: Friedrich Verlag, S. 387-390.

Kraus, Alexander/Topf, Silke (2017): ,,Lernschwierigkeiten überwinden. Heterogene Lerngruppen erfolgreich fördern und unterrichten“, in: Der Fremsprachliche Unterricht Französisch, Heft 149, S. 2-10.

Schäfer, Ulla (2014): ,,Englischunterricht für Schülerinnen und Schüler mit Lernschwierigkeiten, in: Bartosch“, in: Roman/Rhode, Andreas (Hg.): Im Dialog der Disziplinen. Englischdidaktik-Förderpädagogik-Inklusion, Trier: Wissenschaftler Verlag, S. 45-62.

Kanter, G. O. (1980): Lernbehinderungen und die Personengruppe der Lernbehinderten, in: Kanter, G. O. & Speck, O. (Hg.): Pädagogik der Lernbehinderten. Handbuch der Sonderpädagogik, Bd. 4, Berlin: Marhold, S. 34-64.

Gold, Andreas (2014): ,,Lernschwierigkeiten. Ursachen, Diagnostik und Intervention“, auf: uni-göttingen.de <https://www.uni-goettingen.de/de/document/download/43b8770f19d9fe94b11c73b98de92530.pdf/Gold%2013.6.pdf> [06.02.2023].

von Emelie Krug