Was Betreuende erwarten – Interview mit Prof. Dr. Ingo Heilmann
Das folgende Interview wurde mit Prof. Dr. Ingo Helmann (Pflanzenbiochemie) im Rahmen des InGrA-Projektes “What supervisors want / Was Betreuende erwarten” in 2023 an der MLU durchgeführt. Informationen zum Projekt und weitere Interviews finden Sie hier.
Was war das letzte tolle Erlebnis, das Sie mit einem Ihrer Promovierenden hatten?
Das ist schwierig zu beantworten, weil wir gerade letzte Woche unsere Graduiertenkollegs-Evaluation hatten, bei der ich in kurzer Zeit mit sehr vielen Promovierenden sehr schöne Erlebnisse hatte. Es ist immer ein schönes Erlebnis, ehemalige Promovierte wieder zu treffen, die schon graduiert sind und mit denen man gleich wieder ein gutes Verhältnis hat – und dann zu sehen, was die jetzt machen. Aber auch sonst habe ich natürlich schöne Erlebnisse mit Doktoranden, und zwar eigentlich auf täglicher Basis – wenn neue Ergebnisse da sind und man den Erfolg und die Freude an der Arbeit mit den Promovierenden teilt.
Was bedeutet für Sie die Betreuung einer Promotion und wie kann man sich dies bei Ihnen in groben Zügen vorstellen?
Die Betreuung hat verschiedene Ebenen. Da gibt es die inhaltliche Ebene: Es muss erstmal ein Promotionsthema geben. Im Standardfall ist es so, dass man sich als Professor ein Thema ausdenkt. Eine Alternative ist, wenn Promovierende mit einer eigenen Idee kommen, bspw. ein Stipendium eingeworben haben und einen Partner suchen, bei dem oder der sie das Thema bearbeiten können. Und dann gibt es die Mischform, wenn eine Promotion so läuft, dass ein Doktorand ein gestelltes Thema im eigenen Sinne verändert.
Die Betreuung besteht zunächst darin, thematisch eine Projektidee vorzugeben, aber auch der eigenen Initiative von einer Person zu folgen und dies zu begleiten. Als Professor hat man inhaltlich einen größeren Überblick als wer gerade mit einer Promotion beginnt. Da gibt es viel Literatur, die man auch nach 20 Jahren kaum überblickt. Die Hilfe bei der inhaltlichen Entwicklung des Projektes ist im Prinzip eine der Rollen als Promotionsbetreuer. Ich halte den Begriff Doktorvater bzw. Doktormutter aus verschiedenen Gründen für sehr passend.
Ich sehe die Promotionsbetreuung wie einen Staffellauf. Ich versuche, den neuen Promovierenden in den ersten Besprechungen nahezubringen, was ich von ihnen erwarte. Da ist vielleicht schon ein Projektthema. Vielleicht ist schon experimentelle Vorarbeit geleistet worden oder es arbeitet schon jemand anders am Projekt. Dann muss der neue Doktorand oder die neue Doktorandin zunächst nebenherlaufen, während noch jemand anders da ist. Und nach einer Einarbeitungszeit wird der Stab übergeben.
Ich hoffe natürlich, dass irgendwann im Laufe jeder Promotion die Lunte zündet und die Doktoranden dann vielleicht eine eigene Richtung verfolgen – also das Thema übernehmen, als ihr eigenes weiterentwickeln und dann möglicherweise auch in eine völlig unerwartete Richtung gehen. Im Idealfall wird am Ende mir als Betreuer erklärt, was eigentlich Neues zu lernen war. Das ist eine sehr lohnende Sache. Ich sehe eine Promotion als ein gemeinsames Entwickeln und am Anfang ist natürlich die Betreuungsaufgabe eine andere als gegen Ende. Die Promotion ja ist der Nachweis der Befähigung zur eigenständigen wissenschaftlichen Arbeit. Das Inhaltliche zu vermitteln ist am Anfang wichtig und gegen Ende muss man sehen, ob alles korrekt läuft und die eigene Erfahrung einbringen – aber man muss als Betreuer auch loslassen können und eine individuelle Entwicklung erkennen und fördern.
Eine andere Facette der Betreuung sind die administrativen oder formalen Dinge. Ich sehe meine Aufgabe u.a. darin, eine Umgebung zu schaffen, in der eine produktive wissenschaftliche Arbeit möglich ist. Wir haben eine Arbeitsgruppe, da brauchen wir Geräte, wir brauchen Chemikalien, wir brauchen Geld. Das muss immer da sein, damit alle produktiv arbeiten können. Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen müssen ja bezahlt werden. Die Betreuung zielt auch darauf ab, dass all diese Dinge gegeneinander abgewogen werden, und der inhaltlichen Fortschritt des Projektes muss kontinuierlich mit dem ggf. noch vorhandenen Geld einer Projektförderung abgeglichen werden. Dafür muss man sich u. U. gemeinsam entscheiden, welche Ziele in einer Promotion erreicht werden sollen und können, denn es gibt oft äußere Zwänge, die man beachten muss.
In unserer Umfrage äußerten Promovierende Folgendes: „A supervisor has to meet the students at least every two or three weeks and has to know what the student is doing every time.“ Wie eng sollte Betreuung sein? Und woran machen Sie fest wie engmaschig Sie jemanden betreuen?
Ich unterschreibe dieses Zitat mit voller Überzeugung. In unserer Arbeitsgruppe wird die Betreuung auch genauso gehandhabt, und ich treffe meine Doktoranden einzeln spätestens alle 2 bis 3 Wochen. Am Ende jedes Meetings machen wir gleich den nächsten Termin, damit die Doktoranden und Doktorandinnen wissen, dass auf jeden Fall regelmäßig Zeit dafür ist, mögliche Probleme zu besprechen. Die Treffen können bei Bedarf auch engmaschiger sein, aber von Treffen zu Treffen soll ja auch Zeit für neue Experimente sein, damit es etwas zu besprechen gibt. Zeit ist insgesamt für jeden Professor eine begrenzte Ressource, in meinem Fall momentan gerade, weil ich ein Graduiertenkolleg leite.
Da ist ein weiterer Aspekt der Betreuung: „Trouble Shooting“, das nötig wird, wenn Experimente nicht voranschreiten, weil eine Hypothese sich nicht bestätigt oder weil technisch etwas nicht funktioniert. Oder weil es eine andere Arbeit gibt, die einen verwandten wissenschaftlichen Aspekt behandelt – so etwas muss besprochen werden. Und diese Besprechungen müssen natürlich einen Termin haben. Wenn es ganz dringend irgendetwas zu besprechen gibt, geht es natürlich auch kurzfristig ohne Termin.
Die einzelnen Treffen gehen dann zum Teil mehrere Stunden, damit man sich wirklich genau in das Projekt hineindenkt – versteht und versucht nachzuvollziehen, was getan werden kann, um Probleme zu lösen. Ich will in einem Treffen gar nicht gleich eine Präsentation sehen, sondern wir sitzen meist die erste halbe Stunde erst mal am Tisch und unterhalten uns. Weil ich möchte, dass Promovierende auch losgelöst von ihrer Computer-Präsentation einfach mal kurz mit Worten erklären können, worum es geht und was mglw. das gerade aktuelle Problem ist. Später braucht man danach gar nicht mehr viele Worte, wenn man gemeinsam auf eine Datenpräsentation schaut. Und dann sehen wir uns die Daten an und versuchen, gemeinsam eine Lösung zu finden.
Zusätzlich haben wir natürlich auch wöchentliche Labor-Meetings, wo einzelne Projekte präsentiert werden, so dass sich jeder aus der Gruppe dazu äußern kann. Und wir reden auch so viel miteinander, z. B. während des gemeinsamen Mittagessens. Wir haben insgesamt viel Kontakt und ich glaube, dass das für die Betreuung ganz wichtig ist, weil man das Funktionieren der Gruppe auf verschiedenen Ebenen miterleben muss. Man kann keine wissenschaftliche, gerade experimentelle, Promotion betreuen, wenn man die einzelnen Personen und Experimente gar nicht eng verfolgt. Es ist ganz schlecht – nach meinem Ermessen – wenn eine Betreuung erst nach Ende des Ablaufs der Promotion erfolgt und dann die Frage kommt: „Warum hast du denn bestimmte Experimente nicht durchgeführt?“
Wie viel Betreuung ist zeitlich realisierbar? So viel wie nötig ist! Mein Grundinteresse ist, dass die Forschung läuft. Die Forschung basiert weitgehend auf der produktiven Arbeit der Doktorandinnen und Doktoranden. Das heißt, mein eigenes Initialinteresse als Betreuer und als Forscher ist, allen soweit es geht bei der Forschung zu helfen. Ich stehe ja selbst nicht im Labor, sondern ich möchte, dass die Promovierenden die Experimente machen, und dass sie diese auch sofort richtig machen. Das ist letztendlich auch ein finanzielles Interesse. Forschung ist teuer, die Mittel sind begrenzt und wir müssen durch gute Betreuung sehen, dass wir diese Mittel möglichst gut nutzen.
Und wie eng sollte die Betreuung sein? Das ist individuell verschieden. Auf der einen Seite ist es so, dass die Betreuung zu Beginn einer Promotion meist enger abläuft als gegen Ende, wenn alle Experimente klar sind und die Promovierenden genau wissen, was sie tun, ihre eigenen Ideen haben und die Technik im Labor, „hands on“, oft besser durchschauen als ich. Ich bin ohne intensive Einarbeitung ja im Labor inzwischen weitgehend nutzlos – das gebe ich ja zu. Aber „enge“ Betreuung ist natürlich individuell anzuwenden. Das ist etwas, wo manche gerade zu Beginn einer Promotion eine engere Betreuung brauchen als Andere, weil die Voraussetzungen, die sie mitbringen, anders sind. Vielleicht kommen einige aus einem anderen wissenschaftlichen Feld, und dann muss man sehen, was sie für ihr neues Projekt gerade wissen und lernen müssen.
Diese Aspekte haben dann auch mit der Auswahl der Kandidaten für ein Promotionsprojekt zu tun. Ich will natürlich initial Leute auswählen, die möglichst gut für die zu leistende Arbeit vorbereitet sind. Aber da ich letztendlich ja noch gar nicht weiß, wo die Forschung hingehen wird, kann ich auch nicht wissen, was für Voraussetzungen Leute brauchen werden. Hinterher ist man immer schlauer, aber beim Einstellen weiß man noch nicht genau, was die Anforderungen sein werden. Und die Forschung leitet uns. Die Betreuung wird auch in Situationen besonders eng, wo sich eine neue Forschungsrichtung ergibt und man fehlendes Wissen ausgleichen muss. Dann muss auch ich zum Teil intensiv dazulernen. Enge Betreuung heißt dann nicht nur, dass ich zeige, wie es geht, sondern da muss man Inhalte gemeinsam erarbeiten, die man für ein Projekt braucht. Das ist vielleicht die engste Betreuung, weil man gemeinsam sitzt und Ideen hin und her spielt, und dabei entwickeln sich Promovierende als auch Betreuer gleichermaßen weiter.
Was zählen Sie zu Ihren Aufgaben als Betreuer und wo ist Ihnen andererseits aber eine selbstständige Herangehensweise Ihrer Promovierenden wichtig? Wo verlaufen da die Grenzen?
Meine Aufgabe sehe ich darin, meine Erfahrung in allen erwähnten Belangen zu teilen. Ich bin eigentlich bei allen Aspekten der Promotion beteiligt. Und wo ist mir eine selbstständige Herangehensweise wichtig? Na ja, je selbstständiger, desto besser. Zu selbstständig kann aber manchmal auch mit “beratungsresistent” übersetzt werden. Man muss sich irgendwo treffen und man muss miteinander reden. Meistens ist es wirklich eine Balance, und im Laufe einer Promotion schwenkt es irgendwann von einem betreuten Promovieren zu einem selbstständigen Promovieren um. Die Frage ist bei jedem Promovierenden, wann das passiert. Meistens irgendwo in der Mitte der Promotion. Dieses Umschwenken ist ganz wichtig, weil wir am Ende ja dahin kommen wollen, dass eine selbstständige wissenschaftliche Arbeit erkennbar ist – und Absolventen sollen, wenn sie dann in einen Job gehen, selbst auch Leute betreuen und selbständig Projekte entwickeln können. Alles Dinge, die man als Wissenschaftler können muss und die letztendlich ja in der Promotion entwickelt und nachgewiesen werden müssen.
Meine Aufgabe als Betreuer ist da zu erkennen: Was braucht jetzt jeder, was muss jemand noch lernen? Wo ist das Brett dünn? Wie bringe ich das bei? Und in welchem Maße bringe ich mich selbst ein?
Es nutzt ja nichts, wenn ich alles denke und mache und am Ende die Promovierenden nichts lernen. Die Grenzen, die hängen auch von der Natur der Projekte ab, aber auch von den Individuen. Das ist bei jedem anders. Ich denke, wo man vielleicht eine Grenze ziehen kann – wo meine Aufgabe besser definiert ist, als in der eigentlichen inhaltlichen Forschung – ist bei administrativen Dingen. Viele Doktoranden und Doktorandinnen haben die Vorstellung, dass Forschung v.a. darin besteht, gute Experimente zu machen, diese zu interpretieren und dann tolle Daten zu haben. Aber man muss sich auch noch um viele andere Dinge kümmern. Und da fehlt häufig ein bisschen das Verständnis. Z.B., dass man sich auch auf Fragen einlässt wie: Woher kommen Fördermittel? Was kosten die laufenden Experimente oder der Betrieb der verwendeten Geräte überhaupt? Wie kann ich selbst eine gute Betreuung mir anvertrauter Studierender gewährleisten? Wie schreibe ich ein Gutachten? Etc. Wenn man diese Aspekte in der Promotion nicht berührt, dann ist es danach schon ein bisschen zu spät, sich damit zum ersten Mal zu befassen. Schnell kommt nämlich die Situation, wo man solche Dinge einfach können muss. Für mich ist es somit eine wichtige Aufgabe, im Verlauf einer Promotion die Balance zwischen der eigentlichen Forschung und der Vermittlung anderer Qualifikationen zu wahren, die man als Wissenschaftler letztendlich braucht.
Was gibt es neben der eigentlichen Promotion für Tätigkeiten und Aufgaben am Lehrstuhl, die von den Promovierenden erledigt werden? Mit welchem zeitlichen Umfang sollte dabei gerechnet werden? Hintergrund ist, dass sich in der Umfrage mehrere Promovierende mehr Zeit für ihre originären Promotionsthemen gewünscht haben.
Die reine Forschung ist ganz wichtig. Das zentrale Forschungsprojekt wird die Promotion entscheidend definieren, und dafür sollte der Löwenanteil der Zeit verwendet werden. Aber ich glaube, dass es nur ein Aspekt für die eigenständige wissenschaftliche Arbeit ist. Zum Beispiel sind aus meiner Sicht Erfahrungen in der Lehre ganz wichtig. Wie man selbst betreut, wie man Praktika betreut, wie man Praktika auch konzipiert, was da Schwierigkeiten sind – wie man beurteilt, was Studenten leisten können oder was sie mit ihrem noch begrenzten Hintergrund verstehen können. Auch die eins zu eins-Betreuung von Praktikanten im Labor ist wichtig – das ist ja etwas anderes als Grundlehre und fordert die Promovierenden auch als “Manager”. Dabei ist auch wichtig sich klar zu machen: Ich muss jeden Tag ins Labor kommen, da ist schon jemand, der oder die auf mich wartet, dem oder der muss ich einen Plan und eine Struktur vorgeben. Das ist eine ganz andere Art, Forschung zu betreiben als wenn man nur selbst ins Labor kommt und sagt „Ah, ich trink erstmal ‘nen Kaffee und überlege mir dabei was zu tun ist“. Stattdessen muss man verantwortlich mit Leuten umgehen und ihnen eine Struktur geben. Wir setzen unsere Promovierenden viel zur Betreuung verschiedener Arten von Praktika ein, und ich halte das für eine wichtige Facette in der Bildung ihres wissenschaftlichen Profils.
Aber es geht natürlich nicht nur um Lehre, sondern darum, dass man auch generell Umsicht im Labor walten lässt und nicht sagt „Ich mache mein Projekt und alles andere ist mir egal“, sondern auch ein bisschen links und rechts guckt: Wie läuft das Labor? Fehlen Chemikalien? Funktionieren Geräte nicht? Dass die Promovierenden ein bisschen anfangen, Verantwortung zu übernehmen und lernen, wie man eine Infrastruktur auch aufrechterhält. Das ist etwas, was in der Promotion nie richtig geprüft wird, aber was ich trotzdem für eine ganz wichtige Aufgabe für mich als Betreuer halte – die Promovierenden auch mit solchen Fragen in Kontakt zu bringen.
Man darf das aber nicht überfrachten, denn die Promovierenden sollen natürlich zuallererst ihre Forschung machen. Die Balance ist hier wieder wichtig. Ich möchte auch nicht, dass meine Doktoranden sich verzetteln und keine Experimente mehr machen. Aber am Ende müssen sie trotzdem wissen, wie man Chemikalien bestellt, wie man Dinge archiviert, wie man gentechnische Aufzeichnungen führt, etc.. Das muss jeder irgendwann können. Und ich finde, eine Promotion sollte darauf vorbereiten, dass jemand, der oder die aus meinem Labor kommt eine runde Ausbildung hat und wirklich in all diesen Belangen performen kann. Das sind ja teilweise auch gesetzliche Vorgaben, wie z.B. Aufzeichnungen geführt werden. Da möchte ich, dass die Leute am Ende wissen, wie sowas geht.
Was führte nach Ihrer Erfahrung zu den meisten Spannungen bzw. Herausforderungen zwischen Ihnen als Betreuer und den Promovierenden? Und wie können diese Herausforderungen, Spannungen aufgelöst oder vielleicht sogar vermieden werden?
Immer wenn Leute zusammenarbeiten, denke ich, kann es zu Spannungen kommen. Und der erste Schritt, Spannungen zu vermeiden, ist in meinen Augen die Auswahl der Personen, die man zusammen zum Arbeiten bringt. Da schließe ich mich selbst nicht aus. Also, ein persönliches Interview für ein Einstellungsgespräch ist ganz wichtig, weil man dann gleich merkt, ob man miteinander reden kann. Ob man eine Ebene findet, ob man irgendwie fehlkommuniziert oder ob man das Gefühl hat, es kommt gar nichts an – beidseitig. Wie sich die persönlichen Lebensumstände von Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen verändern, hat auch einen Einfluss darauf, wie sie selbst unter Spannung stehen. Und diese Spannungen bringen sie dann mit zur Arbeit. Da kann ich allerdings wenig machen, da haben wir aber eigentlich wenig Probleme mit.
Dinge, die Sie vielleicht auch in der Frage gemeint haben, sind äußere Umstände, die sich daraus ergeben, dass zum Beispiel Promotionen unterschiedlich finanziert werden. Mit einem Stipendium der Landesgraduiertenförderung bekommt man bspw. monatlich einen bestimmten Betrag, und wenn man jetzt auf einer kernfinanzierten Institutsstelle angestellt ist, dann bekommt man ein bisschen mehr. Und wenn man dann im Graduiertenkolleg promoviert, da hat man auf einmal eine 65 %-Stelle. Volle Stellen werden in den Lebenswissenschaften zur Promotion nicht vergeben, das ist traditionell hier anders als bspw. in der Physik, wo Promotionen besser bezahlt werden. Das ist aber ein anderes Thema. Promovierende kriegen also unterschiedlich viel Geld bezahlt, letztendlich dafür, dass sie alle in der gleichen Weise mit den gleichen Aufgaben versehen promovieren. Das ist natürlich etwas, was zu Reibung führen kann.
Was ich tun kann, um das abzumildern, ist noch zusätzlich Geld zu beantragen, damit alle Promovierenden wenigstens auf ein grob ähnliches Gehalt kommen. Das ist die finanzielle Seite, die mir persönlich oft viel Sorgen macht und die mich viel Zeit kostet, die ich gerne produktiver füllen würde.
Die andere Seite ist auch die Promotionsdauer. Ich sage, dass man im Graduiertenkolleg mehr verdient, aber dafür muss man dann auch in drei Jahren mit der Promotion fertig sein. Die Hausstellen gehen zunächst auch für drei Jahre, aber mit einer Möglichkeit, um noch ein Jahr zu verlängern. Das muss man gleich zu Beginn offen kommunizieren. Wenn ich mich an meine eigene – DAAD-finanzierte – Promotion erinnere, haben solche Überlegungen eigentlich keine Rolle gespielt. Solange ich eine Finanzierung hatte, war ich eigentlich froh und es war mir egal, was andere Promovierende verdienten, die aus anderer Richtung gefördert wurden.
Ein weiteres typisches Phänomen der experimentellen Arbeit ist, dass bei einem Doktoranden vielleicht alles funktioniert und beim Anderen klappt nichts. Da kann ich, so gut ich kann, helfen. Aber es ist so, man muss in der Wissenschaft gut sein, also informiert und fleißig sein, um Erfolg zu haben. Ein Stück Glück gehört aber oft auch dazu, weil wir einfach nicht wissen, ob eine Hypothese stimmt. Da muss man sehen, woran das liegt, ob es technische oder wissenschaftliche Herausforderungen gibt, und dass man das im Gespräch herausfindet. Aber solche Reibung ist eigentlich selten. Ich muss sagen, in unserer Gruppe haben wir wenig Reibung, weil wir sehr offen miteinander umgehen und die Leute auch untereinander gut befreundet sind. Das ist vielleicht das wichtigste Konzept, dass wir versuchen, eine faire, freundschaftliche Atmosphäre zu schaffen in der niemand Angst haben muss, Probleme anzusprechen. Denn warum ist es so schlimm, wenn etwas nicht klappt? Weil Promovierende vielleicht Angst haben, dass daraus Konsequenzen drohen. Wir versuchen daher immer, dass solche Sorgen wirklich keine Rolle spielen.
Haben Sie noch etwas zu ergänzen oder wurde Ihnen aus Ihrer Sicht ein Punkt noch nicht ausreichend angesprochen? Bzw. vielleicht ist Ihnen auch während des Gesprächs noch irgendwas eingefallen?
Naja, was manchmal ein bisschen wenig zum Tragen kommt, ist mein Wunsch, eine Promotion als „team effort“ zu sehen. Als Betreuer ist man ja kein Gegner der Promovierenden und die Doktorandinnen und Doktoranden sind im besten Fall ja auch nicht “gegen” einen als Betreuer, sondern man hat ein gemeinsames Interesse und versucht das zu realisieren.
Als Betreuer muss man auch darauf achten, dass das man sich nicht übernimmt. Das ist ein wichtiges Element, dass man auch als Professor eine Selbsteinschätzung vornimmt, was man selbst leisten kann und wie viel man an positiver Betreuung wirklich weitergeben kann. Da muss man sehen, dass man sich selbst nicht überfordert. Das ist vielleicht auch ein Prozess, zu sagen: „Ich habe mir zu viel aufgehalst.“ Ich hatte Zeiten mit über zehn Doktoranden, aber das ist ein Umfang, den ich persönlich nicht mehr leisten kann.
Die eigene Belastungsgrenze definiert, wie gut man betreuen kann, und wenn man sie dauerhaft überschreitet, leiden sicherlich die Betreuung, die Atmosphäre und auch der wissenschaftliche Erfolg. Man ist ja kein Übermensch als Professor. Der Tag hat 24 Stunden, man nimmt vielleicht noch den Samstag, oder auch den Sonntag dazu. Aber man braucht einen Rhythmus, den man durchhält, und den muss man für sich selber veranschlagen. Umgekehrt muss man auch wissen, was man dann von Anderen verlangen kann. Diese Grenze ist bei jedem Professor, aber auch bei jedem Promovierenden anders.
Welchen Tipp haben bzw. hätten Sie gern selbst zum Anfang Ihrer Promotionszeit bekommen?
Meine Promotion in den 90ern verlief wissenschaftlich und bezüglich der Betreuung insgesamt etwa so, wie ich es mir vorgestellt hatte. Ich habe aber deutlich unterschätzt, was am Ende an Zeit für Formalitäten veranschlagt werden muss. Wenn man denkt, man hat alle Experimente fertig, schreibt man seine Arbeit zusammen. Man hat sich mit dem Betreuer koordiniert und dann gibt man irgendwann ab und hat das Gefühl, man ist fertig. Aber dem ist nicht so. Sondern man sitzt dann da und wartet zum Teil monatelang auf die Gutachten. Dann wartet man monatelang auf Verwaltungsprozesse, die man nicht beeinflussen kann, bis es auf wundersame Weise irgendwann dazu kommt, dass ein Verteidigungstermin anberaumt wird. Und selbst wenn man den hinter sich hat – hoffentlich erfolgreich – dann dauert es noch eine ganze Weile, bis man sein Zeugnis bekommt.
Diese Dinge habe ich als Promovierender deutlich unterschätzt. Da war es dann für mich schwierig, eine anvisierte Anstellung zu realisieren, weil diese Dinge wirklich länger brauchten, als ich vorgesehen hatte. Wir sollten im Sinne unserer aktuellen Promovierenden darauf hinwirken, dass administrative Prozesse stringenter werden, auch bei uns in Halle, wo wir einen Einfluss darauf haben.
Zurück zur Hauptseite “What supervisors want / Was Betreuende erwarten”.
Sub Pages
- Results of an online survey on doctoral supervision
- Was Betreuende erwarten – Interview mit Prof. Dr. Daniel Wefers
- Was Betreuende erwarten – Interview mit Prof. Dr. Ingo Heilmann
- Was Betreuende erwarten – Interview mit Prof. Dr. Jenny Haase
- Was Betreuende erwarten – Interview mit Prof. Dr. Konstanze Senge
- What supervisors want – Interview: main take-aways