Mit der konstituierenden Sitzung des achten Landtags von Sachsen-Anhalt am 6. Juli 2021 ist die siebte Wahlperiode Geschichte. Im Rückblick auf die vergangenen fünf Jahre lassen sich einige interessante Zahlen zusammentragen: so gab es in diesem Zeitraum 126 Sitzungstage (sechste Wahlperiode: 107; Gesamtsitzungsdauer der Plenarversammlung: 891:46:00 Stunden), 47 Große Anfragen (31), 4545 Kleine Anfragen (2026), 136 beschlossene Gesetze (120) bei 186 in den Landtag eingebrachten Entwürfen, 149 Anhörungen in den Ausschüssen (125), insgesamt 7782 Drucksachen, 2668 eingereichte Petitionen (der Gegenstandsbereich „Inneres“ führte mit 359 Eingaben vor „Verkehr/Städtebau/Wohnungswesen“ mit 349 und „Gesundheit und Soziales“ mit 317 Eingaben), und schließlich 689 Anträge (960), von denen 377 auch beschlossen wurden (Quelle: Landtag Sachsen-Anhalt). Die nächsten Plenarsitzungstage finden übrigens am 16. und 17. September (zu diesem Zeitpunkt soll auch der neue Ministerpräsident gewählt werden, sofern die Parteien CDU, FDP und SPD den Koalitionsverhandlungen folgend bis dahin dem Koalitionsvertrag zugestimmt haben werden), am 14. und 15. Oktober, am 18. und 19. November sowie vom 14. bis zum 16. Dezember 2021 statt. Akttuelle Infos sowie die jeweiligen Tagesordnungen gibt es stets hier.
Innenpolitik
23. Aug 2021
Neuerscheinung: „Demokratie unter Schock“ von Martin Debes
Am 5. Februar 2020 kam es in Erfurt zu einer Zäsur: erstmals wurde mit Thomas Kemmerich (FDP) ein Kandidat mit Stimmen der AfD zum Ministerpräsidenten gewählt. Im dritten Wahlgang hatte die AfD-Fraktion nicht den eigenen Kandidaten, sondern Kemmerich gewählt – gemeinsam mit den Stimmen von CDU und FDP reichte es zu einer Mehrheit, Ministerpräsident Bodo Ramelow wurde eine weitere Amtszeit (vorläufig) versagt. Nach wenigen Tagen und einem Proteststurm, der weit über die Landesgrenzen Thüringens hinausreichte, trat Kemmerich zurück, im Anschluss traten die CDU-Spitzen in Thüringen, aber auch auf Bundesebene zurück, die Frage nach dem Umgang mit der AfD stand im Fokus der politischen Debatte(n). Wie aber konnte es zu diesem Ereignis kommen? Der Thüringer Journalist Martin Debes von der Funke-Mediengruppe, der u. a. auch für die ZEIT und den SPIEGEL schreibt, hat in seinem neuen Buch „Demokratie unter Schock“ die Ereignisse im Umfeld des 5. Februar 2020 minutiös rekonstruiert. Dabei greift er in seinen Schilderungen zeitlich weit zurück, um die Hintergründe der Ereignisse im vergangenen Jahr nachvollziehen zu können: „War die Wahl Kemmerichs ein Komplott von AfD, CDU und FDP, ein ‚von langer Hand‘ geplanter ‚Pakt mit dem Faschismus‘, wie es einige Linke, Sozialdemokraten und Grüne bis heute behaupten? Oder handelte es sich eher um einen ‚perfiden Trick‘ der AfD, auf den ahnungslose Christdemokraten und Liberale hereinfielen? So jedenfalls möchte es Thomas Kemmerich gerne betrachtet haben“, schreibt Debes im Prolog seines Buches auf S. 12. Und er fährt fort: „Es war komplizierter. Programme mischten sich mit Prinzipien, Ideale mit Ideologien, Ambitionen mit Ansprüchen. Hinzu kamen Dreistigkeit, Dickköpfigkeit und Dummheit – und der eine oder andere Zufall. Gleichzeitig lassen sich die Geschehnisse nicht ohne die handelnden Personen und deren Vorgeschichte erklären. Denn dies ist eine Fortsetzungsserie, mit mindestens zwei Prequels, die in den Jahren 2009 und 2014 spielten. Das Sequel dürfte nach der kommenden Landtagswahl folgen“ (ebd.).
Debes stützt sich in seinem Buch auf zahlreiche Gespräche mit den beteiligten Protagonisten, zitiert private Textnachrichten, greift auf interne Protokolle zurück und beleuchtet das mediale wie politische Echo der Ereignisse in Thüringen. Herausgekommen ist ein Buch, das sich stellenweise wie ein Krimi liest. Auch heute ist die Thüringer Regierungskrise augenscheinlich (noch) nicht überwunden, denn mit der jüngsten Verschiebung der damals vereinbarten Neuwahl des Landtages, die ursprünglich für den Tag der Bundestagswahl am 26. September 2021 geplant war, bleibt das Thema auf der politischen Tagesordnung.
Martin Debes: „Demokratie unter Schock. Wie die AfD einen Ministerpräsidenten wählte“, Klartext-Verlag, Essen 2021, 248 Seiten, 18,95 Euro, ISBN: 9783837524314.
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9. Aug 2021
Neuerscheinung: „Die Unterschätzten“ von Cerstin Gammelin
„Mehr als 30 Jahre nach der Wiedervereinigung wird immer noch gefragt, wie ‚der Osten‘ so tickt. Warum eigentlich? Die Menschen dort haben friedlich die Mauer niedergerissen, unter schwierigsten Bedingungen eine Transformation vollbracht und vielfach Chancen für einen Neubeginn genutzt. Sie sind Vorreiter politischer Trends, haben verkrustete Strukturen der Bundesrepublik reformiert und verschaffen sich zunehmend selbstbewusst Gehör.“ Diese Passage findet sich auf dem Backcover des soeben neu erschienenen Buches „Die Unterschätzten“ von Cerstin Gammelin. Die Autorin, Jahrgang 1965 und selbst „ost-sozialisiert“, fungiert seit 2015 als Vize-Redaktionsleiterin des Parlamentsbüros der Süddeutschen Zeitung in Berlin und hat zuvor für die Financial Times Deutschland sowie Die ZEIT gearbeitet. Für ihr Buch hat sie zahlreiche Gespräche geführt: mit Regierenden der neuen Länder, mit Unternehmern sowie Kreativen und Kulturschaffenden, auch mit Forschern und Wissenschaftlern. Dabei gelingt es ihr, spannende Einsichten aus dem „Laboratorium Ost“ (S. 51) zusammenzutragen und wichtige Aspekte der „politischen Macht einer Minderheit“ (S. 258) zu erörtern. Nähere Informationen zum Buch einschließlich einer Leseprobe gibt es hier.
Cerstin Gammelin: „Die Unterschätzten. Wie der Osten die deutsche Politik bestimmt“, Econ-Verlag, Berlin 2021, 306 Seiten, 22,99 Euro, ISBN: 978-3-430-21061-4.
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