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2. Apr 2020

Forschungsaufenthalt vor Ort in Washington D.C.: ein Erlebnisbericht

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Der U. S. Kongress zählt zu den am besten erforschten Parlamenten der Welt. Und auch in unseren Lehrveranstaltungen im Lehrbereich Regierungslehre und Policyforschung an der MLU stehen Senat und Repräsentantenhaus der Vereinigten Staaten häufig im Mittelpunkt des Interesses. Mein Kollege Sebastian Hünermund ist – Corona-bedingt – vor wenigen Tagen vorzeitig von einem mehrwöchigen Forschungsaufenthalt in Washington D.C. zurückgekehrt. In den nächsten Absätzen berichtet er von seinen Erfahrungen während seines Aufenthaltes.

„Hauptstädte strahlen für viele Politikwissenschaftler und insbesondere für Parlamentsforscher eine ganz besondere Anziehungskraft aus. Sie gelten nicht nur als ‚Zentren der Macht‘, sondern sie sind in aller Regel auch Orte, an denen periodisch gewählte Volksvertreter in Parlamenten zusammenkommen und allgemeinverbindliche Entscheidungen für die gesamte Bevölkerung treffen. Der U.S. Kongress kann dabei ohne Frage als eines der einflussreichsten Parlamente weltweit beschrieben werden. Studierende der Politikwissenschaft an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg erfahren bereits im ersten Semester ihres Studiums überblickshaft worauf die Machtfülle des U.S. Kongresses im Wesentlichen zurückzuführen ist. Grundlage hierfür bildet die auf Winfried Steffani zurückgehende Unterscheidung zwischen dem präsidentiellen und dem parlamentarischen Regierungssystem: Die fehlende Abhängigkeit des Präsidenten vom Vertrauen des U.S. Kongresses führt zu einer sehr viel eigenständigeren Arbeit der Legislative als dies beim Deutschen Bundestag aufgrund der Gewaltenverschränkung zwischen Parlamentsmehrheit und Regierung der Fall ist. Die Arbeitsfähigkeit des U.S. Kongresses wird dabei vor allem durch ein ausdifferenziertes und flexibles System ständiger Ausschüsse und Unterausschüsse sichergestellt.

Während meines Forschungsaufenthalts habe ich mich näher mit der Arbeitsweise des U.S. Kongresses und seiner Ausschüsse beschäftigt. Mein Fokus lag dabei auf den ‚congressional hearings‘ – dem traditionellen Instrument der Ausschüsse zur selbstständigen Informationsbeschaffung. Interessanterweise dienten die Hearings im U.S. Kongress als Vorbild für den Deutschen Bundestag. Seit 1951 kennt die Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages ‚öffentliche Tatsachenfeststellungen‘. Diese umständliche Formulierung hat sich glücklicherweise nicht durchgesetzt. Heutzutage sprechen sowohl die Geschäftsordnung als auch die Praktiker im Bundestag ganz überwiegend von öffentlichen Anhörungen oder schlicht Anhörungen.

Drei Fragen waren während meines Aufenthalts in Washington D.C. forschungsleitend: Wie werden Hearings im U.S. Kongress organisiert und durchgeführt und welche Funktionen erfüllen sie im politischen Prozess? Welche Erkenntnisse können hieraus für die Entwicklung und die Nutzung von öffentlichen Anhörungen im Deutschen Bundestag geschlossen werden?

Mit Blick auf die letzte Frage muss erwähnt werden, dass Anhörungen im Deutschen Bundestag keinen leichten Start hatten. Zwischen 1951 und 1965 wurden gerade einmal acht Anhörungen durchgeführt. Seit der 10. Wahlperiode gehören sie jedoch zum politischen Tagesgeschäft und sind aus der heutigen Praxis kaum wegzudenken. In der 18. Wahlperiode (2013-2017) haben sämtliche Bundestagsausschüsse insgesamt 548 öffentliche Anhörungen durchgeführt.

Methodisch habe ich mich den Forschungsfragen aus drei verschiedenen Richtungen angenähert. Zum einen war ich während meines Aufenthalts an das BMW Center for German and European Studies an der Georgetown University assoziiert. Als Visiting Researcher hatte ich somit Zugriff auf verschiedene Ressourcen, die mir von der Universität bereitgestellt wurden. Hierzu zählten beispielsweise die Universitätsbibliothek (Lauinger Library), aber auch persönliche Kontakte zu Mitarbeitern am Department of Government wie die Professorin Michele Swers, eine langjährige Expertin für das Thema U.S. Kongress. Der Gedankenaustausch hat mir vor allem dabei geholfen die relevante Literatur zu identifizieren.

Des Weiteren hatte ich die Gelegenheit in der Library of Congress zu meinem Thema zu recherchieren. Mit mehr als 168 Millionen Artikeln, darunter mehr als 24 Millionen Bücher, zählt sie zur größten Bibliothek der Welt. Sowohl die Erstellung des Bibliotheksausweises als auch die Nutzung des gigantischen Angebots der Bibliothek sind kostenlos und für jeden zugänglich. Auf diese Weise konnte ich mir auch Zeit für die Lektüre von Klassikern der Politikwissenschaft wie Wodrow Wilsons „Congressional Government“ nehmen. Bis zu diesem Zeitpunkt waren mir lediglich jene zwei Sätze des Buches bekannt, die sich gefühlt in jedem zweiten Buch oder Aufsatz zum U.S. Kongress befinden: ‚… Congress in session is Congress on public exhibition, whilst Congress in its committee-rooms is Congress at work.‘ (S. 69)

Schließlich stellten teilnehmende Beobachtungen der Hearings einen weiteren Bestandteil meiner Datenerhebung dar. Ähnlich dem Deutschen Bundestag finden die meisten Anhörungen nicht im Kapitol selbst statt, sondern in den drei House beziehungsweise Senate Office Buildings in unmittelbarer Nähe zum Kongress (In diesen Gebäuden befindet sich auch ein Teil der Abgeordnetenbüros). Hierbei hat mich vor allem der unmittelbare Zugang zu den Ausschusssitzungen und zu den Abgeordneten selbst überrascht. Nach einer kurzen Sicherheitskontrolle am Eingang kann man sich ohne Probleme im gesamten Gebäude aufhalten und ohne vorherige Anmeldung als Zuschauer an den entsprechenden Hearings teilnehmen und diese auch jederzeit wieder verlassen. Der sogenannte Feldzugang war also problemlos herzustellen. Allerdings ist vorstellbar, dass hiervon einige Bereiche bzw. Ausschüsse wie der Geheimdienstausschuss ausgeschlossen sein dürften. Mit zunehmender Ausbreitung des sogenannten Corona-Virus’ in den USA war jedoch sowohl der Zugang zur Library of Congress als auch zu den Kongressgebäuden nicht mehr möglich.

Durch meine Anbindung an die Georgetown University hatte ich jedoch weiterhin die Möglichkeit an zahlreichen politikrelevanten Angeboten teilzunehmen, die außerhalb meines Forschungsgebietes lagen. Hierzu zählten unter anderem die Diskussionsveranstaltung mit der aktuellen Speakerin des Repräsentantenhauses, Nancy Pelosi oder die Veranstaltung mit den Washington Post Journalisten Philip Rucker und Carol Leonnig – beide Autoren des Buches ‚A Very Stable Genius – Donald J. Trump’s Testing of America‘.

Darüber hinaus konnte ich während meines Aufenthalts an sogenannten discussion groups am Institute of Politics and Public Service teilnehmen. Die Gruppen sind fester Bestandteil des ‚Fellows Program‘. Ziel des Programms ist es die Studierenden mit Praktikern aus Politik und Medien in einer lockeren Atmosphäre zusammenzuführen, um somit zum Erfahrungsaustausch zwischen Wissenschaft und Praxis beizutragen. Die Fellows, zumeist Journalisten, ehemalige Kongressabgeordnete und Gouverneure oder Vertreter der beiden großen Parteien, wechseln jedes Semester. Am spannendsten für meine eigene Forschung waren die Veranstaltungen mit dem ehemaligen Kongressabgeordneten aus New York, Joe Crowley, und dem ehemaligen Direktor des ‚National Republican Congressional Committee‘ (kurz NRCC, eine Parteiorganisation zur Wahlkampfunterstützung republikanischer Abgeordneter im Repräsentantenhaus). Über diesen Weg konnte ich schließlich direkt mit Joe Crowley in Kontakt treten und ihn zu seinen Erfahrungen und Einschätzung hinsichtlich der Hearings im Repräsentantenhaus befragen. 

Wenngleich ich nicht alle ursprünglich geplanten Forschungsvorhaben realisieren konnte, bildeten die Mischung aus institutioneller Anbindung an die Georgetown University in Verbindung mit den frei zu Verfügung stehenden Ressourcen der Library of Congress sowie die unmittelbaren Zugänge zu meinen Untersuchungsobjekten die einzigartige Gelegenheit einen Eindruck von den vielen kleinen ‚Zentren der Macht‘ in Washington D.C. zu erhalten.“ (Sebastian Hünermund)

Das Kapitol während der traditionellen Kirschblüte im Frühjahr 2020.
Eine typische Szene in einem der Ausschusssäle im U.S.-Kongress.
Blick auf das Hauptgebäude der Georgetown University.

Über Michael Kolkmann

7 Kommentare

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